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Maria im Heilsplan Gottes - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1999/2000
4
. Jahresreihe - 3. Katechese, 14.11.99

Maria im Heilsplan Gottes

Maria im Heilsplan Gottes

Warum dieses Thema gerade jetzt, im November: "Maria im Heilsplan Gottes", warum nicht im Oktober oder im Mai, sondern jetzt im November? Speziell deshalb, weil wir uns auf das große Jubiläum vorbereiten. In 14 Tagen ist bereits der 1. Adventsonntag, und damit beginnt zwar noch nicht richtig das Heilige Jahr, aber doch das neue Kirchenjahr, und damit das Jahr, in dem die Kirche das Jubiläum feiert, das Jubiläum, das der Heilige Vater in der Weihnachtsnacht eröffnen wird und das wir hier im Stephansdom beim Riesentor unter dem Bild Christi am Christtag eröffnen werden. Im Geheimnis der Menschwerdung, das im Mittelpunkt des Jubiläums steht, spielt Maria eine unvergleichliche Rolle, und deshalb möchte ich die letzte Katechese vor dem Beginn des neuen Kirchenjahres ihrem Geheimnis, ihrem Platz im Heilsplan Gottes widmen. Weil Maria der Mensch ist, in dem Gott Mensch geworden ist, ist sie wie kein anderer Mensch verbunden mit dem Geheimnis der Menschwerdung. Dieses Geheimnis ist das große Geheimnis unseres Glaubens. Es ist der Wendepunkt der Menschheitsgeschichte, von hier an zählen wir die Jahre, wir tun es, weil wir glauben, dass vor und nach Christi Geburt wirklich ein Einschnitt ist, der Wendepunkt der Menschheitsgeschichte.
Warum spielt Maria so eine unvergleichliche Rolle im Leben der Kirche, im Leben so vieler Menschen? Für manche Beobachter von außen, für manche nichtkatholische Christen, aber auch manche Katholiken, ist diese Rolle zu groß. Sie finden, dass Maria zu viel Platz eingeräumt wird. Anderseits ist es nicht zu übersehen, dass es zahllose Menschen gibt, die bei Maria Schutz und Hilfe suchen. Es genügt ja nur, jeden Tag zu sehen, wie viele Kerzen hinten beim Maria Pocs Bild brennen. Letztes Mal hatte ich über das Thema "Offenbarung und Privatoffenbarungen" gesprochen, und in diesem Zusammenhang auch über die Marienerscheinungen. Wir wissen, welche Rolle diese Ereignisse im Leben der Kirche und auch in der Erneuerung der Kirche spielen.

Maria ist vielen Menschen auch ganz persönlich nahe. Sie sagen, sie bezeugen, dass sie sie als nahe erfahren haben. Wir haben also einerseits die Glaubenstatsache der Menschwerdung des Sohnes Gottes aus Maria, wir haben andererseits die Erfahrungstatsache der Verehrung Mariens durch so viele Menschen. Ich möchte diesen beiden Spuren folgen, gewissermaßen dem objektiven Blick unseres Glaubens auf das Geheimnis der Menschwerdung, und in diesem Geheimnis der Rolle Mariens, aber dann auch der ganz persönlichen Seite, warum Maria im Glaubensleben der Menschen so eine Rolle spielt.

Es stimmt schon: die Marienverehrung kann übertrieben werden. Sie kann einseitig werden, und es kann der Eindruck entstehen, dass sie sich vor die Verehrung Christi schiebt. Aber sie kann auch verdorren. Es kann die Marienverehrung uns abhanden kommen, und dann spüren wir, dass etwas fehlt. Vor zwei Jahren war ich in Argentinien und habe dort ein klein wenig von der Volksfrömmigkeit erlebt. Am Flugplatz in Buenos Aires wurde ich begrüßt, nicht nur von einigen Kleinen Schwestern, sondern von einer ganzen Gruppe von sehr armen Leuten aus dem Armenviertel, in dem die Schwestern ihr Häuschen haben, und diese Schar von Leuten kam nicht nur mit Gitarren, sondern auch mit einer Marienstatue auf dem Flugplatz - und sie haben mich dort mit der "Virgen de Itati", der Muttergottes von Itati (das ist das Nationalheiligtum, das "Mariazell" von Argentinien) begrüßt. Die Liebe zu Maria ist für sie selbstverständlich. Freilich habe ich dann auch gesehen, wie stark, wie überall in Südamerika, die Sekten wirken, oder auch die evangelikalen Freikirchen, die oft eine sehr ablehnende Haltung gegenüber der Marienverehrung haben. Ich habe gelegentlich dann gehört, dass die Leute, die so von der Kirche, von der katholischen Kirche wegkommen, sagen, am schwersten fällt ihnen, dass ihnen Maria genommen wird. Irgendwie spüren wir: wenn die Marienverehrung aus der Kirche schwindet, wenn sie verdorrt, verdunstet, dann geht etwas von der Freundlichkeit, der Menschlichkeit, der Liebe der Kirche verloren. Nicht umsonst heißt es im Salve Regina: "dulcedo et spes nostra" - "unsere Süßigkeit und unsere Hoffnung". Irgendwie fehlt das Herz, wenn die Marienverehrung fehlt. Daher ist es so wichtig, dass die Marienverehrung nüchtern und herzlich ist. Denken wir an das große Gedicht der kleinen heiligen Theresia, das letzte, das sie geschrieben hat: "Warum ich dich liebe, Maria". So nüchtern und so herzlich.
Aber jetzt soll es zuerst um die erste Spur gehen, um das, was objektiv, was in der ganzen Nüchternheit unseres Glaubens wir über das Geheimnis Mariens sagen können. 

Wir gehen aus vom Geheimnis der Menschwerdung, es ist ja die Mitte des Jubeljahres. Ich möchte zeigen, dass es hier um die Schlüsselfrage geht in allen Bereichen unseres Glaubens. Die Frage, an der sich so viel anderes entscheidet. Sie haben vielleicht gehört, dass manche sich wünschen, nicht wenige sich wünschen, dass das Dogma von "Maria der Miterlöserin, der Mittlerin aller Gnaden" verkündet werde, dass der Heilige Vater das vielleicht sogar im Jahr 2000, dem Jubeljahr, verkünde, zum Jubiläum der Menschwerdung. Nun, ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird, aber was steht hinter dieser Frage? "Maria, Mittlerin aller Gnaden"? Ist das eine Übertreibung, oder kann man das in rechter Weise sagen und verstehen? Wie kann überhaupt ein solcher Wunsch aufkommen? "Maria, Mittlerin aller Gnaden". ist nicht Christus allein der Mittler aller Gnaden? Unsere evangelischen Mitchristen empfinden es manchmal als schmerzlich, wenn sie solche Worte hören. Wir müssen behutsam sein diesen Reaktionen gegenüber und müssen versuchen zu hören, was sie uns zu sagen haben, aber auch umgekehrt versuchen, unseren Glauben, das, was uns anvertraut ist, besser, deutlicher zu verstehen und zu sagen.

Besteht nicht die Gefahr, dass hier ein Mensch, und wäre es der vollkommenste Mensch, neben Christus gestellt wird, ihm gleichgestellt wird? Aber die Frage ist ja eigentlich eine viel weitere Frage: Gibt es überhaupt die Möglichkeit, dass wir Geschöpfe mitwirken mit Gott? Ist nicht Gott der Allmächtige und sind nicht wir gewissermaßen die "Nichtse", so wie Christus einmal zu Caterina von Siena gesagt hat in einer Vision, in einer Einsprechung: "Du bist die, die nicht ist, ich bin Der, der ist." Gott alleine ist, wir sind nur ein Schatten, wir haben unser Sein empfangen, wir haben es nicht aus uns selber, Gott alleine ist. Können wir dann überhaupt sagen, dass Geschöpfe mitwirken können? Ist nicht Gott allein der Heilige, und kann auch ein noch so heiliges Geschöpf mitwirken, Gnade vermitteln, Heil vermitteln? Wirkt nicht Gott alles in allem? Man wird es sich doch nicht so vorstellen können, dass es so eine Art "Arbeitsteilung" ist, Gott macht ein bisschen und wir machen ein bisschen, Gott ein bisschen mehr, und wir ein bisschen weniger. Das kann es wohl nicht sein. Die Frage hat einen noch weiteren Horizont, ich glaube gerade, wenn wir auch, was in unserem Land immer notwendiger wird, das Gespräch mit dem Islam suchen, zu verstehen suchen, was diese Religion im Innersten bewegt, dann kommt diese Frage ganz unweigerlich auf: die Frage nach unserer Freiheit. Können wir mitwirken an Gottes Plan? Wenn ja, können wir ihn auch hindern? Kann Gottes Plan durch uns besser gelingen, oder weniger gelingen? Können wir mitwirken an unserem eigenen Heil und am Heil der anderen? Oder wirkt wirklich Gott alleine, der einzig mächtige, heilige?

Wir sind hier auch bei einer Frage, die die Christenheit seit 1521 zerrissen hat: die Frage der Rechtfertigung. Vor wenigen Tagen, vor 14 Tagen, wurde in Augsburg eine "Gemeinsame Erklärung" zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche unterzeichnet über die Frage der "Rechtfertigung" . Wenn man nun dieses Dokument liest, so groß die Freude ist über diesen deutlichen Schritt zur Gemeinsamkeit hin, so wird doch deutlich sichtbar, dass noch manches unterschiedlich bleibt in der Sichtweise. Ein Unterschied, der die abendländische Christenheit zerrissen hat, und in die ganze Welt hinaus wirkt als Spaltung zwischen Katholiken und evangelischen Christen in allen ihren Richtungen. Nicht umsonst wurde in der Reformation die Marienverehrung, die Heiligenverehrung teils sehr kritisch gesehen, teils sogar ganz radikal abgelehnt: Das Heil kommt nicht durch irgendwelche Mittler. Wenn Sie in Genf in die Kathedrale gehen, dann sehen Sie nicht die Heiligenstatuen wie bei uns, die wurden alle weggeräumt. Nur Gott und sein Wort rechtfertigen uns, nur der Glaube, und keine Vermittlungen, keine Mittlergestalten, selbst nicht Maria.
Was heißt das aber: "Rechtfertigung durch Glauben", nicht durch unsere Werke, auch nicht durch die Heiligen, auch nicht durch Maria? Wir sagen doch auf unserer Seite, Maria macht wie kein anderer Mensch deutlich, überdeutlich, dass es ein wirkliches Mitwirken am Plan Gottes gibt, aber ein Mitwirken, das ganz und gar unter dem Wirken Gottes steht, nicht neben ihm, gleichberechtigt, sondern unter dem Wirken Gottes. Gerade, wenn wir auf Maria schauen, sehen wir, dass Gott alleine die Gnade schenkt. Heil kann ich nicht mir selber schenken, aber mitwirken können wir. Gott allein wirkt das Heil, aber wir dürfen mitwirken. Der hl. Augustinus sagt einmal, "Gott hat uns ohne uns geschaffen, aber er will uns nicht ohne uns erlösen. Wir haben uns nicht selber geschaffen, wir können uns auch nicht selber retten. Aber wir können mitwirken, oder auch Gottes Heil nicht zum Wirken kommen lassen". Deshalb sagt der Katechismus: "Was der katholische Glaube von Maria glaubt und lehrt, gründet auf dem Glauben an Christus, es erhellt aber auch den Glauben an Christus." Was wir von Maria sagen und glauben, beruht ganz und gar auf Christus. Aber Maria hilft uns auch, Christus besser zu sehen. Also hängt alles von unserem Glauben an Jesus Christus ab. Wie sehr ist das Jubiläum eine Einladung, dass das wirklich wieder in die Mitte kommt: der Glaube an Jesus Christus, an seine Menschwerdung, an die Erlösung, an Ihn, den Erlöser.

"Als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn", sagt Paulus. Das ist die Botschaft des Jubiläums, und Paulus fügt hinzu: "... geboren von einer Frau". Warum wollte Gott, dass das entscheidende Heilsereignis der Geschichte nicht ohne die Mitwirkung eines Menschen, ohne die Mitwirkung einer Frau geschieht? Im Katechismus lesen wir: "Um dem Sohn Gottes einen Leib zu bereiten, sollte nach Gottes Willen ein Geschöpf in Freiheit mitwirken." "In Freiheit mitwirken." Zu der Aufgabe, Mutter seines Sohnes zu sein, hat Gott von aller Ewigkeit her eine Tochter Israels, eine junge Jüdin aus Nazareth in Galiläa auserwählt, eine Jungfrau, die mit einem Mann namens Joseph verlobt war, der aus dem Haus Davids stammte, der Name der Jungfrau war Maria.

Gott hat sie also erwählt, damit sie mitwirkt. Und an ihr sehen wir, dass jeder, der von Gott gerufen ist - wir alle sind von Gott gerufen - auch gerufen ist, mitzuwirken. Nicht, dass wir das Heil machen könnten, aber wir können dazu mitwirken. Es wäre jetzt sehr schön, zu schauen, wie Gott im alten Bund die Erwählung Mariens vorbereitet hat. Besonders die Frauengestalten im Alten Testament sind ja schon Vorausdeutungen, wie einzelne Menschen mitgewirkt haben am Heil. Der Katechismus nennt z.B. Ruth, die mit ihrer Schwiegermutter Noemi zurückgekehrt ist in die Fremde, das Heimatland Noemis, um bei ihr zu bleiben, und so wurde sie zur Mitwirkenden an der Geburt des David, die Großmutter Davids, und so wurde durch sie, durch ihr Mitwirken ein Schritt im Heil getan. Der Katechismus nennt Judith. Judith hat durch ihre mutige Tat das Volk gerettet, Esther hat durch ihren Mut das Volk in schwerer Stunde gerettet. So steht Maria in der Reihe dieser großen Frauengestalten des alten Bundes, sie hat in ganz einzigartiger Weise mitgewirkt. Ich werde in der nächsten Katechese über ein besonderes Thema dieser Vorbereitung sprechen, nämlich das Thema der Erbsünde. Was heißt es, wenn wir glauben, dass Maria von der Erbsünde bewahrt war? Was bedeutet das für ihre Freiheit, für ihr Mitwirken am Heil? Das kommt im Dezember dran.

Maria also lässt sich ein, sie stimmt zu. Indem Maria ihre Zustimmung gab, wurde sie Mutter Jesu. Gott ist Mensch geworden durch die freie Initiative Gottes, aber nicht ohne das Ja des Menschen. Nun sagt die Kirche, dass von diesem Moment an Maria Gottesmutter wurde. Wir nennen Maria "Gottesmutter" , nicht weil sie Gott geboren hat, als wäre er nicht gewesen, sondern das Kind, das sie empfangen und geboren hat, ist Gott. Deshalb nennen wir sie zu Recht Gottesgebärerin, Gottesmutter. Von diesem Moment an hat Maria empfangen, ein Kind in ihrem Schoß, Mensch wie wir von Anfang an, und wenn wir in der christlichen Tradition eine unbedingte Ehrfurcht vor dem ungeborenen Kind verkünden, dazu einladen, dazu helfen wollen, dann ist es auch deshalb, weil dieses unglaubliche Geheimnis am Anfang unseres Glaubens steht, dass Gott selber ein kleines Kind im Schoß einer Mutter geworden ist. In Nazareth steht über der Verkündigungsgrotte "Verbum caro hic factum est", "Hier ist das Wort Fleisch geworden". Wir waren 500 Pilger im Heiligen Land, im vergangenen Monat, es bleibt einem unvergesslich, dieser Ort, diese Grotte, über der die Verkündigungsbasilika gebaut ist, hier ist das Wort Fleisch geworden. Empfangen durch den Heiligen Geist. Ich möchte Sie einladen, dass wir immer wieder neu, wenn wir das Credo beten, sprechen, im Glauben unsere Zustimmung geben, denn das zu glauben, "empfangen durch den Heiligen Geist", das ist zweifellos für die Vernunft unbegreiflich. Aber es ist nicht unvernünftig, es ist nicht wider die Vernunft, auch wenn es unsere Vernunft übersteigt, zu glauben, dass Maria vom Heiligen Geist empfangen hat.

Was sagt dieser Glaube: "Empfangen durch den Heiligen Geist"? Was bedeutet das im Heilsplan, warum hat Gott gerade diesem Weg gewählt? Man könnte ja auch sagen, und es ist immer wieder zu hören, es wäre doch viel sinnvoller, wenn Jesus das "normale" Kind von Joseph und Maria gewesen wäre? Wäre er dann nicht noch mehr Mensch gewesen, wenn er, wie jedes Menschenkind, von einem menschlichen Vater gezeugt, von einer menschlichen Mutter empfangen worden wäre? Nun hat aber Gott einen anderen Weg gesucht, einen anderen Weg gewählt, um Mensch zu werden, und unsere Vernunft muss sich vor dieser Tatsache, die wir im Glauben als Tatsache annehmen, beugen, darf aber dann versuchen, zu verstehen, warum Gott diesen Weg gewählt hat. Wenn Sie einmal im Katechismus nachschauen, dort sind fünf Gründe genannt, Gründe, die ein wenig helfen zu verstehen, warum Gott in seinem Heilsplan so Mensch werden wollte und nicht anders. Ich nenne nur einige dieser Gründe: Jesus ist ganz Gott, ganz Mensch. Das stimmt, aber wir sehen im ganzen Leben Jesu, er hat nur einen Vater. In Jerusalem sagt der Zwölfjährige seinen Eltern Maria und Joseph: "Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?" Jesus ist in seinem ganzen Leben ganz auf den Vater ausgerichtet, er hat nur einen Vater: "Einer ist euer Vater", wird er auch uns sagen. Es geht ganz um die Initiative Gottes bei der Menschwerdung. Das hat kein Mensch sich ausdenken können, diese Initiative, diesen Anfang hat Gott gesetzt. Deshalb ist es sinnvoll, anzunehmen, im Glauben anzunehmen, dass er im Heiligen Geist empfangen wurde, dass es Gottes Initiative war.

Die Menschwerdung ist nicht sozusagen ein natürlicher Vorgang, den Gott sich dann zu eigen macht, sondern es ist das Einbrechen einer ganz neuen Initiative Gottes in unsere Menschengeschichte. Und deshalb sagen wir, dass Jesus der neue Adam ist. Mit ihm beginnt ein Neuanfang der Menschheit. Das können wir nicht von uns aus. Deshalb ist es sinnvoll, zu glauben, anzunehmen, dass Jesus vom Heiligen Geist in Maria empfangen ist. Es ist auch deshalb sinnvoll, das im Glauben anzunehmen, weil auch wir, wie Maria, Jesus nur empfangen können. Wer nicht wiedergeboren wird aus dem Wasser und dem Geist, kann nicht in das Reich Gottes eingehen. Wir können uns das Heil nicht selber schenken, nicht als eigene Leistung hervorbringen. Wie Maria empfangen hat vom Heiligen Geist, so empfangen wir in der Taufe etwas, das Gott aus reiner Gnade geschenkt, und nicht etwas, was wir selber gemacht haben. Ich nenne diese Gründe, um zu zeigen, dass es sinnvoll ist, der Vernunft nicht widerspricht, zu glauben, was wir im Credo sagen: "Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von Maria, der Jungfrau". Auch wenn es unbegreiflich ist, ist es doch nicht unvernünftig. Und so wird deutlich, durch das, was wir im Glauben bekennen: der Erlöser, die Erlösung ist Gottes Initiative und Gabe. Und es wird deutlich: Wir können zustimmen, wir können mitwirken. Maria hat ja gesagt im Glauben: "Mir geschehe, wie du gesagt hast." Maria hat geglaubt und empfangen. So hat sie mitgewirkt am Kommen des Erlösers. Wir sehen also, wenn wir noch einmal zurückfragen: Wer hat eigentlich hier sozusagen "das Sagen"? Gott hat eindeutig die Initiative, und doch gibt es ein echtes Mitwirken des Geschöpfes. Die Gnade kommt allein von Gott, aber sie wird von uns angenommen oder abgelehnt. Gott hat die Initiative, aber wir haben die Freiheit, ja zu sagen, oder auch nein.

Manchmal wird die Frage gestellt: "Hätte Maria nein sagen können?" Das ist eine Denkweise, wie sie uns als sündigen Menschen selbstverständlich ist: Ich kann zu Gottes Plan und Willen nein sagen. Wir werden nächstes Mal sehen, dass durch die Bewahrung von der Erbsünde Maria nicht wählen musste zwischen einem Ja und Nein, sondern sozusagen aus einer für uns unvorstellbaren Freiheit heraus ein ganzes freies Ja gesagt hat. Maria hat ja gesagt. Wir sagen sehr oft "nein", oder wenigstens "jein", statt "ja" . Manchmal kommt mir die Frage, und vielleicht haben Sie sie sich auch schon einmal gestellt: Was wäre, wenn ich so ja sagen könnte wie Maria? Wenn ich so ganz und gar dem Willen Gottes zustimmen könnte wie Maria? Würde ich da nicht mitwirken können in einer ganz anderen Weise am Heil, am Guten, am Kommen des Reiches Gottes? Die erschreckende Gegenfrage ist: Habe ich nicht immer wieder und wieder, tue ich es nicht täglich, wohl bis zu meinem Lebensende, durch mein Nein oder mein Jein, das Reich Gottes behindert? Den Plan Gottes durchkreuzt?

Was wäre, um einen Vergleich zu gebrauchen, hätte ich wie Therese von Lisieux als 2-jähriges Kind gesagt: "Ich wähle alles"? "Je choisis tout?" Wenn ich als 14-jähriger, so wie Therese für Pranzini, den Mörder, so gebetet hätte, von dem sie dann in ihren Erinnerungen sagt "mein erstes Kind" , wo sie sich zuschreibt, dass sie in der Gnade die Mutterschaft für diesen Massenmörder, diesen vielfachen Mörder, erworben hat, weil sie in einem absoluten Vertrauen sein Heil erbeten hat? Ist das nicht eine besorgniserregende, erschreckende Frage: Sind wegen meiner Nachlässigkeit, Sorglosigkeit vielleicht gar Menschen verloren gegangen? Eine Frage, der wir doch angesichts so vieler Worte Jesu - denken wir an das heutige Talente-Gleichnis - nicht ausweichen können. Gibt es also ein Mitwirken am Heil? Oder auch am Unheil dadurch, dass wir eben nicht am Heil mitwirken? Liegt es auch an uns, ob das Heil ankommt, oder nicht ankommt, bei mir selber, bei anderen? Zweifellos ist das Heil angeboten. Gott will jeden Menschen retten, aber: Lassen wir uns retten? Und helfen wir, dass andere gerettet werden? So verstehen wir vielleicht, warum wir wirklich mitwirken können, aktiv und auch passiv.

Denken wir an das Wort des Apostels Paulus: "Ich ergänze an meinem Leib, was für die Kirche an den Leiden Christi noch aussteht." Das ist Grundverständnis unseres Glaubens: Wir können am Plan Gottes mitwirken. Wir tun es, sooft wir seinen Willen tun, bewusst, oder ohne es zu merken, immer dort, wo wir das Gute tun - das können unsere allereinfachsten täglichen Pflichten sein, das kann ganz etwas Bescheidenes, Unauffälliges sein in unserem Alltag - da wirke ich mit am Plan Gottes. Aber auch, bis ins Kleinste hinein: Jedes Böse, auch schon ein Anflug eines bösen Gedankens, kann den Plan Gottes behindern. Wenn wir das fragen, müssen wir uns die Frage stellen: Ist also Maria Mittlerin aller Gnaden? Wenn schon ich für andere Werkzeug der Gnade sein kann, als Priester bin ich es durch die Kraft des Sakramentes, als Getaufte sind wir es alle durch die Gnade der Taufe: Mitwirkende Gottes, wie soll dann Maria nicht Mittlerin der Gnade sein? Wir sagen, Maria sei die "Gnadenmutter". Wenn man nach Mariazell geht, dann betet man bei der Gnadenmutter. Mutter aller Gnaden. Warum? Wenn es wahr ist, dass Christus die Quelle aller Gnaden ist, dass er der einzige Mittler ist, ist dann nicht Maria, die ihn geboren hat, die Mutter des Erlösers? Wo wir nur halb, teilweise, wenig ja sagen, hat sie ganz ja gesagt, und zwar so ganz, dass sie mit ihrer ganzen Person Mitwirkerin geworden ist am Werk ihres Sohnes. Sie hat sich ganz und gar in seinen Dienst gestellt.

Ist Maria Mittlerin aller Gnaden? Kann ein Geschöpf das sein? Dass sie manche Gnaden vermitteln kann, das können wir uns vorstellen von unserer eigenen Erfahrung her. Aber: aller Gnaden? Nun dürfen wir im Glauben sagen, wenn sie den Erlöser geboren hat, dann hat sie das ja nicht nur für sich getan. Sie ist Mutter Jesu nicht nur für sich, sondern für alle, für die Jesus gekommen ist, sie ist Mutter aller derer, die Jesus erlöst hat. Ein geistlicher Meister unseres Jahrhunderts hat gesagt: "Sie ist überall dort Mutter, wo er Erlöser ist." Von ihrer Empfängnis an, von der Empfängnis Jesu an bis zum Kreuz und bis zum Karsamstag hat sie, immer mehr und immer deutlicher, alles in ihrem Leben in den Dienst Jesu gestellt. Der Heilige Vater sagt uns, dass das nicht einfach von selber gegangen ist. Es war auch für Maria ein Weg des Glaubens. Im Glauben hat sie ja gesagt zu seinem Kreuz und zu seinem Grab, und ist so Mutter aller derer geworden, die durch ihn erlöst sind. "Mutter der Kirche", hat Paul VI. sie genannt. Das Konzil hatte noch gezögert, ob dieser Ausdruck für sie zutrifft. Paul VI. hat dann am Schluss des Konzils, am letzten Tag feierlich Maria "Mutter der Kirche" genannt. In welchem Sinn?

Der hl. Augustinus sagt es sehr schön: Sie ist "Mutter der Glieder Christi", weil sie in Liebe mitgewirkt hat, dass die Gläubigen in der Kirche geboren werden, die jenes Hauptes Glieder sind. Wenn sie Christus geboren hat, dann will sie auch, dass alle Glieder Christi geboren werden. Auch hier hilft uns die Erfahrung des Glaubens. Wenn es schon stimmt, dass die Heiligen uns dadurch nahe sind, dass sie Christus so nahe sind, dann können wir das doch von Maria in ganz besonderer Weise annehmen. Wir können annehmen, dass sie umso mehr uns nahe ist, als sie mit Jesus verbunden ist, und das sie alles das, was er uns schenken will, uns schenken will. Wenn wir annehmen, dass keine Gnade an Jesus "vorbeigeht", dass er wirklich die Quelle aller Gnade ist, dass er das Leben ist, die Wahrheit und der Weg, dann können wir annehmen, dass Maria alles das uns vermitteln will.

Jetzt komme ich noch einmal zurück zur Frage: Wie ist das mit uns? Können wir den Plan Gottes verhindern durch unsere Sünden? Können wir sogar schuldig werden daran, dass andere oder wir selber nicht zum Heil kommen? Vielleicht verstehen wir von da her besser, warum es seit Jahrhunderten eine eigene Tradition gibt, sich Maria zu weihen. Das kommt ja nicht von ungefähr. Warum haben Menschen sich Maria anvertraut, damit sie gewissermaßen sie unter ihren Mantel nimmt? Letztlich geht es auf Jesus zurück, wenn er am Kreuz sagt: "Sohn, siehe deine Mutter!" Jesus empfiehlt also dem Johannes, sich ihr anzuvertrauen, und durch Johannes empfiehlt er uns: "Siehe, deine Mutter!" Was heißt das aber, sich Maria anzuvertrauen? Ich weiß auch, das ist nicht einfach, es gibt manche inneren und äußeren Wiederstände, manches mag uns in der Formulierung etwas seltsam klingen, und doch: Dahinter steht offensichtlich eine tiefe Glaubenserfahrung. Sich Maria weihen, das heißt, sich ihr anvertrauen. Wenn unser Heiliger Vater sein ganzes Pontificat unter das Wort "Totus tuus" gestellt hat, "Ganz dein, (Maria)", aber unter dem Kreuz, dann will er doch offensichtlich damit sagen, dass er seinen Dienst, seinen Heilsdienst für die Menschen nicht sicherer tun kann, als indem er sich Maria anvertraut.

So möchte ich zum Schluss einige Worte zitieren, die der Heilige Vater in Fatima gesprochen hat, und zwar ein Jahr nach dem Attentat, am 13. Mai 1982: "Sich Maria weihen heißt, sich von ihr helfen lassen bei der Überantwortung seiner selbst und der ganzen Menschheit an Ihn, der der Heilige ist, der unendlich Heilige." Hier hat der Heilige Vater es ganz einfach gesagt: "Sich Maria weihen heißt, sich von ihr helfen lassen bei der Überantwortung seiner selbst an Christus." Wenn das die Weihe an Maria ist, dann verstehen wir, dass das nicht etwas gegen Christus ist, sondern im Gegenteil, uns ganz hinführt zu Christus, der im Abendmahlsaal gesagt hat: "Für sie" (d.h. für sie, die Jünger, betet er zum Vater), "für sie heilige ich mich", damit sie geheiligt (oder geweiht) seien. Der Heilige Vater sagt weiter: "Die Mutter Christi lädt uns nachdrücklich ein, uns mit der Kirche des lebendigen Gottes in dieser Weihe der Welt, in diesem Akt der Überantwortung zu verbinden, durch welche die Welt, die Menschheit, die Völker, jeder Einzelne in der Kraft der Erlösung Christi dem ewigen Vater dargebracht werden - im durchbohrten Herzen des gekreuzigten Erlösers. Die Mutter Christi mahnt und verhilft uns zu diesem Mitvollzug der Weihe, zu diesem Akt der Überantwortung der Welt. Dann werden wir wirklich dem durchbohrten Herzen des Gekreuzigten so nahe wie möglich sein." 

Wenn wir die Weihe an Maria so sehen, dann ist das auch für uns eine Hilfe, nicht in Angst zu sein, weil wir vielleicht - oder sicher - zu wenig mitwirken am Heilsplan Gottes. Weil wir vielleicht durch unsere Sünde auch den Heilsplan Gottes behindert haben. Mit ihr und durch sie werden wir - trotz unserer Schwachheit, trotz unseres Versagens - mitwirken am Heil, aber dazu brauchen wir sie, den sie ist in diesem Sinn wirklich die Mittlerin aller Gnaden Jesu.
 

Gelobt sei Jesus Christus

 

 



 

 

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