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Offenbarung und Privatoffenbarung - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1999/2000
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. Jahresreihe - 2. Katechese, 24.10.99

Offenbarung und Privatoffenbarung

Offenbarung und Privatoffenbarung

Beginnen wir die Katechese mit einem Gebet zum Heiligen Geist: Komm Heiliger Geist, Geist der Wahrheit und der Liebe, erleuchte unsern Verstand, stärke unseren Willen, wohne ein unserem Gedächtnis, führe uns ein in alle Wahrheit, die da ist Christus unser Herr. Amen!

Mit Freude darf ich Sie heute zu dieser 2. Katechese in unserem Jahreszyklus begrüßen, der uns in das große Jubiläumsjahr führen wird, uns darauf vorbereitet, und der einigen besonders schwierigen Themen unseres Glaubens gewidmet sein soll. Themen, die im Gespräch, aber auch im Leben der Kirche, der Christen immer wieder vorkommen. Die heutige Katechese soll der Frage der Offenbarung Gottes und der sog. Privatoffenbarungen gewidmet sein. Ich darf zum Einstieg an eine Sache erinnern, die ich in einer Wochenzeitung gelesen habe, für die ich jetzt hier nicht Werbung machen möchte, sie heißt "Die ganze Woche" und ist sicher nicht das einzige empfehlenswerte Blatt unseres Landes. Aber da stand in der letzten Nummer ein ausführlicher Artikel über eine Marienerscheinung im Saarland in diesem Jahr 1999. Zwischen dem 17. Juni und dem 17. Oktober dieses Jahres haben dort, so scheint es oder so wird gesagt, 13 Marienerscheinungen stattgefunden. Drei Frauen, einfache Frauen, berufstätig alle drei, im Alter von 35, 30 und 24 Jahren haben - so scheint es - Marienerscheinungen gehabt, dreizehnmal. Diese waren jeweils angekündigt, so dass Menschen sich zu den erwarteten Erscheinungsterminen auch versammelt haben. Bis zu 15.000 Menschen kamen da zusammen und die drei Frauen haben ganz einfache Botschaften bekommen.

Die eine lautete etwa, dass Maria gesagt haben soll: Meine Kinder, die Kirchen sind so leer und einsam, besucht meinen Sohn, lasst ihn nicht alleine. Eine Botschaft, die durchaus sinnvoll und auch zu Herzen gehend ist. Der Bischof dieser Diözese hat sich in einem Hirtenbrief zurückhaltend bis skeptisch geäußert, und hat verboten, dass hier von Marienerscheinungen gesprochen werden darf. Das ist eines von zahlreichen ähnlichen Phänomenen weltweit. Es soll in den letzten Jahren mehr als 1000 angebliche oder echte Marienerscheinungen in der ganzen Welt gegeben haben, so wurde registriert, wurde gemeldet. Nun, was bedeutet das? Was bedeutet das für unseren Glauben, für diese Zeit? Steht dahinter eine besondere Botschaft?

Zeigt sich Maria wirklich so oft oder handelt es sich hier um Illusionen, Halluzinationen? Wenn sich Maria wirklich so oft zeigt, warum gibt es dann so wenig Anerkennung vom kirchlichen Lehramt? Müssten dann die Bischöfe, das kirchliche Lehramt, der Papst nicht letztlich ganz klar und deutlich ihr "ja" sagen zu dieser massiven Intervention, zu diesen massiven Anzeichen der Gegenwart der Muttergottes? Und wenn es sich bei diesen vielen Phänomenen um falsche Erscheinungen handelt, warum gibt es dann nicht klarere Worte dagegen? Müsste dann nicht sehr viel entschiedener davor gewarnt werden, dagegen vorgegangen werden? Grundsätzlich kann man die Frage stellen, warum überhaupt heute so viel Interesse an außergewöhnlichen, übernatürlichen oder vielleicht nur scheinbar übernatürlichen Phänomenen zu finden ist.

Ich möchte im folgenden ein wenig darauf eingehen, zuerst einmal auf die Frage: "Was es eigentlich in der ganzen Bandbreite der kirchlichen Erscheinungen, Phänomene dieser Art gibt." Und dann der Frage nachgehen: "Was heißt eigentlich Offenbarung?" Und wie steht die Kirche zu diesen Phänomenen, die so vielen Menschen heute bewegen? Nun zuerst einmal die Bandbreite dieser Phänomene. Zweifellos gibt es durch die ganze Kirchengeschichte im Leben anerkannter, bedeutender Heiliger die unterschiedlichsten Phänomene dieser Art. Ich erinnere mich an die Besuche in der kleinen Kapelle in der Nähe von Rom, La Storta, wo Ignatius von Loyola auf dem Weg nach Rom mit seinem ersten Gefährten Halt gemacht hat, gebetet hat, und in dieser Kapelle wird ihm eine Erscheinung zuteil. Er sieht Jesus, der das Kreuz trägt, und hört, wie der Vater zu Jesus sagt: "Nimm Ignatius in deine Gesellschaft, in deine Gemeinschaft auf". Daraus wurde dann die "Gesellschaft Jesu". Der Name kommt aus dieser Erfahrung, dieser Erscheinung, die dem Ignatius zuteil wurde. Ich nenne eines unter vielen Phänomenen dieser Art. Von den vielen Marienerscheinungen seien wenigstens drei genannt, die auch kirchlich anerkannt sind, von denen die Kirche, das Lehramt der Kirche gesagt hat, dass sie nicht dem Glauben widersprechen, und dass sie glaubwürdig sind (wobei dazu zu sagen ist, dass die Kirche nie gesagt hat, dass man daran glauben muss): Da ist die Erscheinung Mariens vor der hl. Katharina Labouré in Paris, in der Rue du Bac, die zur wundertätigen Medaille geführt hat (etwas eigenartig, dass Maria in dieser Erscheinung das Prägen einer Medaille gewünscht hat!) Wer diesen Ort kennt, weiß, wie zahllose Menschen Tag für Tag dort beten kommen. Die wundertätige Medaille, die damals in einer von der Kirche anerkannten Erscheinung der hl. Katharina Labouré gezeigt worden ist, die auch tatsächlich Wunder wirkend ist. Wie wunderbar sie im Leben vieler Menschen sich erwiesen hat!

Die zweite Erscheinung: vor Bernadette von Lourdes. Wohl kaum ein anderer Marienerscheinungsort hat eine solche Strahlkraft wie dieser Ort. Es war nur dieses eine Mädchen. Durch ihre Augen, durch ihre Worte, durch ihr Herz ist alles gegangen, was Maria an diesem Ort zu sagen hatte, vermittelt hat, und seither fließt ununterbrochen - nicht nur eine Quelle, sondern - ein wirklicher Gnadenstrom. Auch hier hat die Kirche anerkannt, dass es sich um eine glaubwürdige, dem Glauben nicht widersprechende Erscheinung handelt. Dass es also so etwas wie ein Eingreifen des Himmels tatsächlich gibt, dass Maria in souveräner Freiheit sich diesem Kind, dieser 14jährigen Bernadette, die nicht lesen und schreiben konnte, gezeigt hat. Und ein drittes Beispiel, das ebenso bekannt ist: Fatima, das auch kirchlich anerkannt und ein Zeichen dafür ist, dass Maria auch in unsere Zeit hinein spricht. Freilich sehen wir gleich bei Fatima, wie sehr auch die Neugierde sich an einer von der Kirche anerkannten Marienerscheinung festbeißen kann und auch manchmal etwas seltsame Blüten treiben kann. Das berühmte dritte Geheimnis von Fatima, über das so viel gerätselt wird, und das nur den Päpsten bekannt ist, ist immer wieder Anlass zu großen Spekulationen und zu manchem Rätselraten. Es ist sicher nicht notwendig zum Heil, zu wissen, was nun tatsächlich in diesem dritten Geheimnis von Fatima gesagt ist.

Neben den Erscheinungen gibt es zweifellos immer wieder das Phänomen der Visionen. Ich nennen nur zwei unter zahlreichen Beispielen aus der Kirchengeschichte: Die hl. Brigitta von Schweden, die jetzt vom Papst als Co-Patronin Europas proklamiert wird. Brigitta von Schweden mit ihren Visionen der Passion Jesu, die sie schriftlich festgehalten hat, und die als Betrachtungen über das Leiden Christi sicher sehr zu Herzen gehen. Oder ein anderes Beispiel: die hl. Katharina von Genua, die in ihren Visionen vieles zu sagen hat, auch wenn es nicht Glaubensgegenstand ist, aber doch für den Glauben durchaus hilfreich: über das Fegefeuer, über die Läuterung nach dem Tod. Neben den Erscheinungen und Visionen gibt es immer wieder das Phänomen der Stimmen, dass Menschen deutlich vernehmbar innere oder auch äußerlich wahrnehmbare Stimmen hören, die ihnen für ihren Weg oder für ihren Auftrag entscheidendes sagen. Ein ganz bekanntes Beispiel ist die hl. Johanna von Orleans, die Jeanne d'Arc, die mit diesen Stimmen auch ihren so erstaunlichen Weg gefunden hat, als ganz junges Mädchen. Mit 21 Jahren wurde sie am Scheiterhaufen verbrannt auf Geheiß der damaligen Theologieprofessoren. 

Schließlich gibt es das Phänomen der Einsprechungen, die nicht direkt Stimmen, nicht direkt hörbare Sprache sind, aber doch so etwas wie innere Worte, die wahrgenommen werden. Wieder nur ein Beispiel unter vielen: die hl. Katherina von Siena, auch sie wurde vom Papst jetzt zu Beginn der Europasynode als Co-Patronin Europas gewissermaßen proklamiert, ernannt. Katherina von Siena hatte ganz starke Einsprechungen, ihr Hauptwerk, der "Dialog über die göttliche Vorsehung", ist ein einziges großes Gedicht oder ein einziges Loblied Gottes, der zu ihr spricht über die Geheimnisse des Glaubens. Dieses Werk ist sicher nicht in diesem Sinne verbindlich, dass wir es als Gottes Offenbarung annehmen müssen, aber es ist doch von der Kirche anerkannt. Katherina ist Kirchenlehrerin, also ist in diesen Einsprechungen auch in der Wahrnehmung des Glaubens, in der Erfahrung der Gläubigen, so etwas wie eine Authentik, wie eine Bestätigung zu finden. Da hat Gott wirklich einem Menschen Wichtiges, Wesentliches zugesprochen. All das ist also im Rahmen des kirchlich Anerkannten, und doch gehört es nicht zur Glaubenssubstanz. Es ist nicht verbindlich, verpflichtend, daran zu glauben, dass die hl. Katherina von Siena wirklich Einsprechungen von Gott hatte. Wenn jemand meint, sie hat das aus ihrer Erfahrung und aus ihrem Wissen, aus ihren Intuitionen heraus gesprochen, so verstößt das nicht gegen den Glauben. 


Was ist von diesen vielen Privatoffenbarungen - wenn wir sie jetzt einmal unter diesem großen Namen fassen - zu halten? Wozu gibt es sie? Was bedeuten sie für das Leben der Kirche? Ich muss jetzt auf etwas eingehen, was stärker am Rand steht als alles, was ich bisher genannt habe. Es gibt eine Fülle von Privatoffenbarungen, die kirchlich nicht anerkannt sind, auch nicht in dem Sinn, dass ihre Autoren eine besondere kirchliche Anerkennung, etwa die Heiligsprechung erfahren haben. Ich nenne nur drei Beispiele von biblischen Visionen: Maria von Agreda, der mystischen Stadt Gottes. Ihre Visionen über die Ereignisse in biblischer Zeit sind nach wie vor umstritten, auch wenn sie durchaus im Ruf der Heiligkeit gestorben ist. Ähnliches gilt von Katharina Emmerich mit ihren Visionen über das Leben Jesu, die Heilige Familie, auch Visionen über das Alte Testament. Oder, in neuerer Zeit, die vielen Bände von Visionen der Maria Valtorta. All das wird immer wieder gerne gelesen, und doch muss man deutlich sagen, das ist nicht kirchlich anerkannt. Vielleicht ist es dem Einen oder Anderen hilfreich, aber es gehört nicht wirklich in die Mitte unseres Glaubens, ich werde darauf gleich noch einmal zurückkommen. Noch problematischer, noch fragwürdiger wird es im Umfeld von Prophetien, von angeblichen Worten Jesu. Ich nenne einen Namen, nicht um diesen Namen irgendwie schlecht zu machen aber weil ihre Bücher viel gelesen werden, Vassula Ryden, die in mehreren Bänden bereits ihre Einsprechungen Jesu, ihre Worte Jesu niedergeschrieben hat. Es gibt hier eine deutliche Reserve. Ist das wirklich aus der Mitte des Glaubens? Wie viel Persönliches, Subjektives fließt da ein? Und wie ist das mit den vielen Erscheinungsorten, um auf den Anfang zurückzukommen? Wie steht es mit Medjugorie? Es läuft zur Zeit eine heftige Kontroverse über Medjugorie in Frankreich, sie hat uns noch nicht erreicht. Bischöfe, die dagegen sprechen, die dafür sprechen, Theologen, die pro und contra sprechen. Wie soll der arme Gläubige sich da zurechtfinden mit diesen vielen Phänomenen? Wie unterscheidet die Kirche? Wie kommt sie zu einem Urteil? Wie unterscheiden die Gläubigen mit ihrem Glaubensgespür, ob etwas echt ist, oder vielleicht vermischt ist mit Echtem oder Subjektiven, oder vielleicht falsch ist? Ich möchte jetzt einen Schritt zurückgehen und die viele grundsätzlichere Frage stellen: Gibt es überhaupt Offenbarung?

Ich knüpfe hier an dem an, was in der letzten Katechese zur Sprache gekommen ist. Wie steht es mit der Offenbarung? Im Katechismus ist manches dazu zu finden, in der Nummer 50 steht im Katechismus: "Durch seine natürliche Vernunft kann der Mensch Gott aus dessen Werken mit Gewissheit erkennen." Das ist klare Lehre der Kirche, ein großes Zutrauen zur menschlichen Vernunft, wir können erkennen, dass es Gott gibt, und wir können erkennen, dass die Schöpfung in seiner Hand ist, dass es die Vorsehung Gottes gibt. Aber es gibt noch eine andere Erkenntnisordnung, zu der der Mensch nicht aus eigener Kraft zu gelangen vermag, diejenige der göttlichen Offenbarung. Warum brauchen wir diese andere Erkenntnisordnung? Nun, ganz einfach aus dem Grund, weil unser Leben ein Ziel hat, das über unser natürliches Vermögen hinausgeht, gewissermaßen über unsere Nasenspitze. Wir können unser letztes Ziel nicht genügend klar selber erkennen, es muss uns gezeigt werden, weil wir ein Ziel haben, das über uns hinausreicht. Gott selber zeigt uns dieses Ziel, indem er sich selber zeigt. Der Katechismus sagt: "Durch einen ganz freien Entschluss offenbart und schenkt sich Gott den Menschen, indem er sein innerstes Geheimnis enthüllt." Gott offenbart sich, und darin schenkt er sich dem Menschen, indem er sein innerstes Geheimnis enthüllt. Das nennen wir Offenbarung. Gott teilt sich mit, und zwar in Worten und in Taten, und durch beide hindurch sich selbst. Letztlich schenkt er sich selbst, indem er sich uns offenbart. Wir brauchen also - und das ist der erste Grund, warum es eine Offenbarung gibt - ein "Licht von oben", weil wir von "oben" bestimmt sind. Weil unser Ziel größer ist als unser eigenes Vermögen, brauchen wir auch ein Licht, das uns den Weg zu diesem Ziel zeigt. Warum offenbart sich Gott? Einfach weil er uns liebt, weil er uns mag. Gott offenbart sich aus Liebe, er spricht uns an - sagt das Konzil - wie ein Freund sich dem Freund zuwendet, er spricht uns als Freunde an und teilt sich uns mit. Es hat Gott in seiner Güte und Weisheit gefallen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens bekannt zu machen, dass die Menschen durch Christus Zugang zum Vater haben und der göttlichen Natur teilhaftig werden.

Nun, wie hat sich Gott geoffenbart? Wir glauben, dass er das in einer langen Geschichte getan hat. In der Geschichte mit seinem Volk hat er sich Schritt für Schritt diesen Menschen, diesem Volk geoffenbart. Durch Israel, durch sein erwähltes Volk hat Gott sich den Menschen gezeigt. Deshalb sind wir alle, bleiben wir alle verwiesen auf dieses Volk, deshalb werden wir - wie Pius der XI. gesagt hat - immer geistig Semiten bleiben. Weil Gott sich diesem Volk geoffenbart hat und durch dieses Volk allen Menschen. Ich werde darüber, so Gott will, Anfang des neuen Jahrtausends sprechen, die erste Katechese im neuen Jahrtausend (am 30. Jänner 2000) soll dieser Frage gewidmet sein. Was bedeutet es, dass wir bleiben, gebunden sind, verwiesen sind auf das Geheimnis der Erwählung Israels, und was heißt das für uns als Christen?

Aber jetzt der entscheidende Schritt in dieser allmählichen Offenbarungsgeschichte: Schließlich hat sich Gott endgültig gezeigt, indem er sein letztes Wort spricht, seinen Sohn schickt. Der hl. Irenäus von Lyon, ein Kirchenvater aus dem 2. Jahrhundert, hat dafür ein sehr schönes Bild, es erinnert fast an den Kleinen Prinz von Antoine de Saint-Exupéry: Sie erinnern sich an die Geschichte wie der kleine Prinz und der Fuchs einander begegnen, und wie sie Freunde werden wollen, und der Fuchs zum kleinen Prinz sagt: "Du musst mich aber zähmen". Und wie sie sich allmählich ein bisschen näher kommen und sich so kennen lernen. Ein ähnliches Bild gebraucht der hl. Irenäus, der sagt, Gott gewöhnt den Menschen an sich, und Gott gewöhnt sich an den Menschen. Allmählich rücken sie einander näher in der langen Geschichte des Volkes Israel. Bis es so weit ist, dass Gott durch Maria seinen Sohn schicken kann. Wir werden in der nächsten Katechese das eigens betrachten, den Platz Mariens in der Heilsgeschichte. Warum Gott diesen Weg gewählt hat, um sich ganz zu offenbaren. Nun hat er uns in seinem Sohn alles gesagt. "Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. In der Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn", so beginnt der Hebräerbrief. "Er hat in dieser Endzeit zu uns gesprochen durch den Sohn". Was heißt das? Das heißt, es wird keine andere Offenbarung mehr geben als die, die Gott uns in seinem Sohn geschenkt hat, das ist sein ganzes Wort. Wir können etwas locker sagen: Mehr hat er nicht zu sagen, er hat in ihm alles gesagt.

Aber was bedeutet das für die Frage der Privatoffenbarungen? Ich darf einen zitieren, der sehr viel darüber gewusst hat und der wahrscheinlich auch Privatoffenbarungen hatte, aber ihnen gegenüber sehr zurückhaltend war: der hl. Johannes vom Kreuz, der große Lehrer des mystischen Lebens. Johannes vom Kreuz sagt, seit Gott uns seinen Sohn geschenkt hat, der sein Wort ist, hat Gott uns kein anderes Wort zu geben. Er hat alles in diesem einen Wort gesprochen, denn was er ehedem nur stückweise zu den Propheten geredet hat, das hat er nunmehr im Ganzen gesprochen, indem er uns das Ganze gab, nämlich seinen Sohn. Daraus zieht Johannes vom Kreuz eine ganz wichtige Folgerung: Wer demnach jetzt noch ihn befragen oder von ihm Visionen oder Offenbarungen haben wollte, der würde nicht bloß unvernünftig handeln, sondern Gott geradezu beleidigen, weil er seine Augen nicht einzig auf Christus richten würde, ohne jegliches Verlangen nach anderen oder neuen Dingen. Johannes vom Kreuz warnt uns also vor dem Suchen nach besonderen Visionen, Erscheinungen, nach neuen Dingen, weil wir verwiesen sind auf seinen Sohn, in dem Gott uns alles gesagt hat. Wenn das so ist, dann heißt das aber, dass es künftig nach Jesus keine andere Offenbarung mehr geben wird. Die Offenbarung ist abgeschlossen, und auch wenn jetzt das Zeitalter des Fisches zu Ende geht und im neuen Jahrtausend das Zeitalter des Wassermannes beginnt, werden wir trotzdem nicht eine andere Offenbarung bekommen. Es wird auch nicht, wie manche im Mittelalter geglaubt haben - die Kirche hat das ganz klar abgelehnt - ein Zeitalter des Heiligen Geistes geben, nach dem Zeitalter des Sohnes. Wir leben in der letzten Zeit. Gott hat sein letztes Wort gesprochen, in diesem Wort hat er alles gesagt, und deshalb ist die Offenbarung abgeschlossen.

Es wird keine neue Offenbarung geben, weder in Lourdes, noch in Fatima, noch sonst wo. Ist das also alles überflüssig, wieso gibt es dann doch auch kirchlich anerkannte Privatoffenbarungen? Die Offenbarung ist abgeschlossen, aber sie ist nicht ausgeschöpft. Gott hat uns alles geschenkt, aber er hat uns nicht alles enthüllt. Wir haben Christus, wir glauben an Christus, aber wir haben immer Neues in Christus zu entdecken. Nicht Neues, das wir nicht bereits empfangen hätten, sondern es gilt, den einen Glauben, das eine, was uns Gott geoffenbart hat, immer mehr zu vertiefen, neu auszuschöpfen. Vieles von dem, was uns in Christus geschenkt ist, ist auch verhüllt und bedarf der allmählichen Enthüllung. Heißt das also, dass es doch neue Offenbarungen geben wird? Nein, es sind nicht neue Offenbarungen, es wird auch die Offenbarung nicht vervollständigt, aber unser Glaube wird vertieft. Ich nenne nur ein Beispiel: Es gab im Mittelalter heilige Frauen, die eine besondere Beziehung zu der Eucharistie hatten, eine besondere Verehrung der Eucharistie. Sie haben nicht etwas Neues entdeckt, aber der Glaube an die Gegenwart Christi in der Eucharistie ist dadurch vertieft worden, verlebendigt worden. Warum erscheint Maria glaubwürdig, von der Kirche bestätigt, von der Kirche anerkannt als glaubwürdig in Lourdes, in Fatima? Nicht, um uns Neues zu sagen, sondern um uns das, was Christus uns zu sagen hat, was uns in Christus geschenkt wurde, neu zu sagen. "Tut alles, was er euch sagt", sagt Maria in Kana, und sie sagt nichts anderes in allen ihren Erscheinungen. Was heißt das?

Im Katechismus steht: Es wird keine neue öffentliche Offenbarung zu erwarten sein vor der glorreichen Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus. Es wird keine neue Offenbarung geben; aber obwohl die Offenbarung abgeschlossen ist, ist ihr Inhalt nicht völlig ausgeschöpft. Es bleibt Sache des christlichen Glaubens, im Lauf der Jahrhunderte, nach und nach, ihre ganze Tragweite zu erfassen. Wie geschieht das? Glauben wir bitte nicht, dass das vor allem durch Privatoffenbarungen geschieht. Diese Vertiefung geschieht zuerst und vor allem durch das ganz alltägliche christliche Leben. Es gibt eine große Meisterin, die uns darüber viel zu sagen hat, das ist die kleine hl. Theresia. Wir wissen aus ihrem Leben, auch sie hat eine Marienerscheinung gehabt, eine Statue hat ihr zugelächelt, die "Muttergottes vom Lächeln", dieses Erlebnis, wie immer es zu deuten ist, in ihrer schweren Krankheit. Wie die Marienstatue in ihrem Zimmer dem Kind Thérèse zugelächelt hat, und wie sie in diesem Moment geheilt war von ihrer gefährlichen Krankheit. Und trotzdem hat Thérèse immer ganz deutlich weg verwiesen vom Außergewöhnlichen. Ich darf zwei Strophen aus ihrem letzten Gedicht "Warum ich dich liebe, Maria!" zitieren. Ihr längstes Gedicht, das sie gedichtet hat, in einer Zeit, in der sie selber eine tiefe Erfahrung der Dunkelheit durchmachen musste. Wo sie sich an nichts mehr festhalten konnte als am Glauben, und man hört es aus ihrem Gedicht. Da heißt es: "Das Evangelium zeigt mir Jesus, zunehmend an Weisheit, wie er Maria und Josef unterworfen bleibt. Mein Herz offenbart mir, mit welchem Feinempfinden er seinen geliebten Eltern immer gehorcht. Jetzt verstehe ich das Geheimnis des Ereignisses im Tempel, den Tonfall in der Antwort meines liebenswürdigen Königs. Mutter, dieses Kind voll Güte möchte, dass du für die Seele, die ihn in der Nacht des Glaubens sucht, Vorbild seiest." Maria ist Vorbild für den Menschen, der in der Nacht des Glaubens Jesus sucht, so wie sie ihn im Tempel gesucht hat, mit Angst, drei Tage lang, bis sie ihn gefunden hat. In dieser Nacht des Glaubens ist Thérèse, als sie dieses Gedicht schreibt, und nur daran will sie sich festhalten, das findet sie in Maria, da ist Maria ihr Vorbild. Und in der nächsten Strophe wird das noch deutlicher, wenn sie das Leben in Nazareth betrachtet: "Ich weiß, Jungfrau voll der Gnaden, dass du ganz arm in Nazareth lebtest und nichts weiter verlangtest: Keinerlei Verzückungen, Wunder oder Ekstasen verschönten dein Leben, du Königin der Auserwählten! Die Zahl der Kleinen ist ja so groß auf Erden; sie können ohne Zittern zu dir die Augen erheben, weil es dir gefiel, du unvergleichliche Mutter, auf dem gewöhnlichen Weg zu gehen, um sie zum Himmel zu führen!" Der "gewöhnliche Weg", Thérèse spricht auch vom "kleinen Weg". In Nazareth hat Maria, so meint Thérèse, keinerlei Verzückungen, Wunder oder Ekstasen gehabt, aber den kleinen Weg des Glaubens, den gewöhnlichen Weg ist sie gegangen. "Deshalb kann die Zahl der Kleinen, die ja so groß ist auf Erden, ohne Zittern zu dir die Augen erheben."

Das ist die eigentliche Vertiefung, die in der Offenbarung durch die Jahrhunderte im Leben der Kirche, im Leben der Christen geschieht. Warum dann also doch Privatoffenbarungen, Erscheinungen, Einsprechungen, Prophetien? Der Katechismus sagt dazu: "Im Lauf der Jahrhunderte gab es so genannte Privatoffenbarungen, von denen einige durch die kirchliche Autorität anerkannt wurden, sie gehören jedoch nicht zum Glaubensgut." Wir haben es vorhin schon gesehen, bezüglich Lourdes oder Fatima, sie sind nicht dazu da, die endgültige Offenbarung Christi zu vervollkommnen oder zu vervollständigen, die Offenbarung ist vollkommen und vollständig. Sondern sie sollen helfen, in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus der endgültigen Offenbarung zu leben. Unter der Leitung des Lehramtes der Kirche weiß der Glaubenssinn der Gläubigen wahrzunehmen, was in solchen Offenbarungen ein echter Ruf Christi ist oder seiner Heiligen an die Kirche. Der Glaubenssinn, der "Riecher" des Glaubens, die treffsichere "Nase des Heiligen Geistes" lässt unterscheiden, was hier echt ist und was nicht echt ist. Und es bedarf oft gar nicht so sehr des Lehramtes, um zu unterscheiden, ob etwas echt oder nicht echt ist. Lourdes hat sich einfach dadurch als echt erwiesen, dass dort die Dinge zusammengestimmt haben: Bernadette ist glaubwürdig. Das, was Maria ihr sagt, ist so einfach und so einprägsam und so nahe dem Evangelium, dass es glaubwürdig ist. Die Zeichen, die Maria an diesem Ort schenkt und wirkt, sind so glaubwürdig, dass das Volk sich nicht täuscht, wenn es nach Lourdes geht, um dort in der Nähe Marias Trost und Hilfe zu finden. Umgekehrt sagt der Katechismus, der christliche Glaube kann keine Offenbarungen annehmen, die vorgeben, die Offenbarung, die in Christus vollendet ist, zu übertreffen oder zu berichtigen, wie das bei gewissen nichtchristlichen Religionen der Fall ist.

Das ist sicher unsere große Schwierigkeit mit dem Islam. Es wurde auf der Bischofssynode sehr intensiv über diese Frage gesprochen: "Der Islam in Europa und was bedeutet das für die Christen". So sehr grundlegend der Respekt vor jeder religiösen Haltung und Einstellung gilt, müssen wir doch als Christen sagen, das, was der Islam über Jesus Christus sagt, entspricht nicht der historischen Wahrheit und auch nicht dem Glauben. Wenn der Islam beansprucht, die Offenbarung des AT und des NT zu korrigieren, dann müssen wir in aller Bescheidenheit und Klarheit sagen, das können wir vom Glauben her nicht annehmen, bei allem absolut notwendigen und richtigen Respekt vor der persönlichen und gemeinsamen Glaubenshaltung des Islam. Das selbe gilt von gewissen religiösen Gruppen und Sekten, die besondere Offenbarungen zu haben beanspruchen, die anders sind als die biblische Offenbarung, und die ihre Religion auf diesen Offenbarungen gründen. Was bedeutet das große Interesse an den Privatoffenbarungen heute? Ich sehe darin vor allem zwei Dinge. Das eine ist sicher ein Anfrage an die Verkündigung der Kirche, die Verkündigung von uns Bischöfen und Priestern: Ist das Übernatürliche bei uns in der Verkündigung nicht zu kurz gekommen? Wir sehen, dass bei den Menschen die Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem Übernatürlichen groß ist, zurecht groß ist. Auch davon war auf der Bischofssynode die Rede, und es wurde gesagt, wir haben wohl in der Verkündigung das ausdrückliche Betonen, das Verkündigen der übernatürlichen Dimension unseres Glaubens vernachlässigt. Wo es nur um das Horizontale geht, da kommt etwas vom Wesentlichen zu kurz, und es sucht sich dann auf anderen Wegen seine Nahrung.

Also der Hinweis darauf, dass in diesen Privatoffenbarungen uns etwas von dem Unverfügbaren, Übernatürlichen unseres Glaubens begegnet. Das zweite aber (und das ist eine gewisse Gefahr): Die Suche nach dem Außergewöhnlichen kann zum Übernatürlichen hinführen, sie kann aber auch davon ablenken. Denn letztlich sind wir auf den Glauben verwiesen, wie Theresia uns so eindrücklich sagt. Die Suche nach dem Übernatürlichen kann auch zur Sucht nach dem Außergewöhnlichen werden, und das ist auch eine Gefahr. Sie kann ablenken von dem normalen, nüchternen, lebenden Weg des Glaubens. Letztlich geht es um den Glauben, der ist die Antwort auf die Offenbarung. Wenn Gott sich uns zeigt, dann geht es nicht so sehr ums Außergewöhnliche, sondern um die Antwort des Herzens, die Antwort des Glaubens. Denn nichts berührt Gott mehr, nie berühren wir das Geheimnis Gottes direkter als im Glauben. Nicht in den außergewöhnlichen Phänomenen, nicht in Erscheinungen, Einsprechungen, Auditionen, Visionen, sondern im Glauben. Da berühren wir den lebendigen Gott direkt und wirklich. Maria, so sagt die kleine hl. Theresia, hat in Nazareth ohne Visionen und ohne Ekstasen gelebt, aber sie hat im Glauben gelebt. Sie hat im Glauben das Geheimnis berührt, mit dem Geheimnis zusammengelebt, mit dem, der ihr Sohn war und ist, und der gleichzeitig Gottes Sohn war. Wir können ohne Visionen, ohne Ekstasen genau das selbe erfahren wie Maria, indem wir glauben, glauben an Christus, der die Fülle der Offenbarung ist. Maria wird deshalb von Elisabeth selig gepriesen. Das wird nächstes mal das Thema in der Katechese sein, der Platz Mariens in der Heilsgeschichte.

 

 



 

 

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