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Gebet Jesu - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1998/1999
3
. Jahresreihe - 4. Katechese, 13.12.98

Gebet Jesu

Gebet Jesu

Wenn wir heute in dieser Katechese über das Gebet Jesu sprechen, dann beginnen wir damit, Jesus darum zu bitten, dass er uns sein Gebet besser erkennen, verstehen und lieben lässt und uns lehrt zu beten:

Herr Jesus Christus, in dieser Stunde bitten wir Dich um Deinen Heiligen Geist, dass Du uns einführst in Dein Gebet zum Vater, dass Du uns mit hinein nimmst in Dein Beten, dass Du uns den Weg Deines Betens zeigst und lehrst und dass wir in Dir und mit Dir und durch Dich unseren Weg zum Vater finden, der auf uns wartet und dessen Liebe uns ganz offen steht. Schenke uns jetzt Deinen Heiligen Geist, damit wir ganz offen sind für das, was Du uns zeigen willst, für das, was Du in unseren Herzen wirken willst. Amen.

Die Katechese über das AT breche ich gewissermaßen ab, aber ich empfehle sie Ihnen weiter als persönliche Lektüre, als persönlichen Auftrag, die Beter des Alten Bundes besser kennen zu lernen, mit ihnen vertrauter zu werden; vor allem die große Gebetsschule des Alten Bundes, die Psalmen, die auch das Gebet der Kirche sind, immer tiefer kennen und lieben zu lernen.

Heute aber, an diesem dritten Adventsonntag, an dem Sonntag, der ganz erleuchtet ist von der Freude Jesu - Gaudete in domino, freut euch im Herrn - an diesem dritten Adventsonntag, der uns schon so nahe an Weihnachten heranbringt, soll die Katechese ganz dem Gebet Jesu gewidmet sein. Denn wo finden wir den Weg des Gebetes, wenn nicht in Jesus, der für uns der Weg, die Wahrheit und das Leben ist? Wer sich dem Gebet Jesu nähert, der nähert sich gewissermaßen dem brennenden Dornbusch. Wir haben das letztes Mal betrachtet, wie Moses sich dem Dornbusch nähert, der brennt und doch nicht verbrennt und in dem Gott ihm erscheint und ihm seinen Namen offenbart. Etwas von dem muss die Jünger bewegt haben, wenn sie Jesus beten sahen, wenn sie sich ihm näherten und warteten, bis er fertig gebetet hatte und ihn dann baten: Herr, lehre uns beten!

Ich darf an die Katechesen zum Weltjugendtreffen erinnern- es ist jetzt schon fast zwei Jahre her - in der wir die Stelle betrachtet haben, die der Heilige Vater uns zur Betrachtung, zur Vorbereitung auf das Weltjugendtreffen mit auf den Weg gegeben hat: Die Begegnung der ersten beiden Jünger mit Jesus, damals, als Johannes auf ihn verwiesen hatte mit den Worten "Seht das Lamm Gottes" und wie die beiden, Andreas und Johannes, Jesus nachgegangen sind, der sich umgedreht hat und sie gefragt hat "Was sucht ihr?" oder "Was wollt ihr?" und sie ihn fragten: "Meister, wo wohnst du?" "Kommt und seht!" Vielleicht erinnern Sie sich daran, - die bei dieser Katechese waren - wie schon damals die Frage aufgetaucht ist, was in diesen Worten "Meister, wo wohnst du?" alles steckt. Natürlich ist es die ganz einfache Frage "Wo ist dein Zuhause, wo wohnst du?" und sie wollten ihn kennen lernen, haben ihn deshalb nach seinem Wohnort gefragt, um ihn zu besuchen. Aber der alte Evangelist und Apostel Johannes, der das im Alter, im Rückblick auf diese allererste Begegnung mit Jesus geschrieben hat, der hört in diesen Worten "Meister, wo wohnst du?" noch etwas anderes. Er hört die Fragen, die sie im Tiefsten hatten und von der sie noch kaum wussten: "Meister, wo ist dein Ort? Wo wohnst du? Wo bist du eigentlich zu Hause?" Und da Johannes sich im Rückblick an all das erinnert, was sie bei Jesus kennenge- lernt haben, weiß er und hört in dieser jugendlichen Frage "Meister, wo wohnst du?" die ganze Offenbarung mit, die sie dann bei Jesus empfangen haben.

Jesus hat einen Ort, wo er wohnt: Er wohnt beim Vater, dort ist er zu Hause und dorthin will er uns führen. Es gibt keinen Ort, wo das so offenbar wird wie im Gebet Jesu. Wenn Jesus betet, dann ist er zu Hause, dann ist er beim Vater. Das ist sozusagen sein innerstes Zuhause, seine Mitte, das ist die Quelle, aus der er trinkt. Das ist die Nahrung, wie er selber einmal sagt, die Nahrung seines Lebens, beim Vater zu sein. Im Gebet ist er an diesem Ort und deshalb ist er im Gebet zu Hause und deshalb gibt es nichts, was uns mehr in die Mitte unseres Lebens hineinführt als das Gebet, weil wir im Gebet mit und durch Jesus beim Vater sind. Diesen Weg wollen wir jetzt ein wenig gehen: Wie Jesus uns, seine Jünger, damals und heute, hinführt zu diesem Ort, wo er wohnt. Wir machen das in drei Schritten und ich hoffe das es mit diesen drei Schritten besser geht als letztes Mal mit Moses, wo ich nicht über den ersten Schritt hinaus gekommen bin. Wir fragen zuerst, wie Jesus selber betet, dann schauen wir uns an, wie Jesus beten lehrt, wie er Lehrer des Gebetes ist und zum Schluss wie Jesus der ist, an den sich bereits das Gebet der Jünger und der Menschen schon damals gewendet hat. Man kann das auch im Katechismus nach- lesen, dort steht es knapp zusammengefasst, und ich darf auch ein wenig hier dem Katechismus folgen. Ich glaube, gerade in Zeiten, in denen wir auch mit äußeren und inneren, persönlichen und kirchlichen Bedrängnissen zu leben haben, gibt es nichts Wichtigeres als diesen Ort aufzusuchen, wo Jesus zu Hause ist, wo deshalb auch wir wirklich zu Hause sind. Nur dort finden wir den Frieden und die innere Ruhe und die Kraft, aus der heraus wir auch alle äußeren Schwierigkeiten, Anfechtungen und selbst die Widerstände des Widersachers, des Menschenfeindes, des Teufels, besiegen können.

Beginnen wir also mit dem Gebet Jesu. Wenn wir versuchen, in die verborgenen Jahre Jesu hineinzuschauen - wir wissen ganz wenig darüber, wir wissen nur, dass Jesus in Betlehem und dann in Nazareth, nach der Flucht nach Ägypten aufgewachsen ist - dann wissen wir eines mit Sicherheit: Jesus hat beten gelernt, wie ein jüdisches Kind damals beten lernte. Das heißt, in den Worten, in den Formen, mit denen das jüdische Volk, sein Volk, in der Synagoge und zu Hause gebetet hat. Dieses Gebet hat er gelernt von Maria, seiner Mutter, von Josef, seinem Vater. Dieses Gebet hat er gelernt in der Synagoge, im Gebet seines Volkes, im Mitbeten mit ihm und es kann nicht hoch genug angesetzt werden, die Bedeutung dieses Wurzelbodens, dieses Bodens, auf dem das Ge- bet Jesus, das er als Mensch, als Mensch gewordener Sohn Gottes gebetet hat. Deshalb ist für uns das jüdische Beten so wichtig. Deshalb beten wir die Psalmen, wir beten sie mit Jesus, der sie in der Synagoge und zu Hause gelernt hat, der sie sicher wie jeder gläubige Jude damals auswendig gekonnt hat, wie man überhaupt weitgehend die Bibel auswendig konnte. Man hatte ein etwas frischeres Gedächtnis als wir heute mit unseren voll gestopften Gedächtnissen, die überschwemmt sind von Eindrücken. In der Antike hatte man eine hervorragende Memoria, ein Gedächtnis, das sich auch bereits vom einmaligen Hören lange Texte gemerkt hat. Natürlich ist es nicht einfach nur die äußere Form, von der Jesus geprägt wird, sondern es ist auch die Art und Weise, wie Maria betet.

Wir können auch das nicht hoch genug ansetzen, um zu ahnen, wie das Gebet Jesu aussieht, wenn wir das Gebet Mariens, das Gebet des hl. Josef zu betrachten versuchen. Wie dieses Beten, die Art und Weise, wie Maria, die ganz offen war für den Willen des Vaters, gebetet hat. Man darf sich das ruhig vorstellen, auch wenn wir uns das nur annähernd vorstellen können! Es ist etwas Wunderbares, daran zu denken: Jesus sieht seine Mutter beten, er sieht Josef beten. Aber dann gibt es eine noch andere Dimension, schon in der Kindheit Jesu, auch die Eltern erleben etwas von diesem Geheimnis mit ihren eigenen Kindern: Sie sind nicht nur Lehrer des Gebetes für ihre Kinder, sondern sie erfahren auch durch die Kinder etwas vom Geheimnis des Gebetes. Es geschieht, dass Kinder aus einer Tiefe heraus beten, die die Eltern überrascht und an der die Eltern merken, bemerken, dass in ihrem eigenen Kind etwas lebt, das größer ist als das, was die Eltern hineingelegt haben: Die Gegenwart Gottes im Herzen eines Kindes! Wie oft ist es, dass Eltern durch das spontane und überraschende Gebet eines Kindes selber in ihrem Glauben positiv erschüttert werden, aufwachen. Etwas noch viel Geheimnisvolleres geschieht im Gebet Jesu.

An einer Stelle leuchtet es auf im Lukas- Evangelium! Jesus hat ein verborgene Quelle, aus der heraus er lebt und die sich wahrscheinlich schon für Maria und Josef gezeigt hat, aber deutlich offenkundig wird sie erst - so zeigt es uns der hl. Lukas - als der Zwölfjährige im Tempel in Jerusalem zurückbleibt und dort nach drei Tagen von Maria und Josef gefunden wird und auf ihre schmerzliche Frage: "Kind, warum hast du uns das angetan?" er ihnen die verwunderte Frage stellt: "Wusstet ihr denn nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist? Wusstet ihr nicht um diesen geheimen Ort, wo ich Zuhause bin?" Es muss für Maria und Josef wohl auch schmerzlich gewesen sein! Maria sagt: "Dein Vater und ich haben dich gesucht, Kind, warum hast du uns das angetan?" Und Jesus sagt "Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?" Wo ihnen in aller Deutlichkeit auf- leuchtet, dass Jesus nicht nur ihnen gehört, sondern dem Vater, dass er einen andern Ort hat, als nur das Zuhause in Nazareth. Und wenn er den Eltern untertan war, wie es heißt "er war ihnen gehorsam", dann ist er es noch mehr seinem Vater gegenüber. Das ist die geheime Quelle, aus der Jesus auch in den verborgenen Jahren lebt, in diesen 30 langen Jahren in Nazareth.

"Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?" Wir dürfen dieses Wort über die 30 Jahre in Nazareth stellen und dort hat Jesus mitten in den Gebeten der Gemeinde, der Synagoge, in den Familiengebeten diese tiefste Dimension seines Betens gelebt und Maria hat wohl um sie gewusst, um dieses Geheimnis ihres Sohnes, der auch Gottes Sohn ist. Wie haben Maria und Josef in den verborgenen Jahren gelebt? Wir wissen nichts über diese 30 Jahre. Es gibt private Offenbarungen, zum Teil sehr schöne, die das alles ausschmücken und da weiß man ganz genau, wie die Hobelspäne geflogen sind in Nazareth, und was alles geredet, gedacht und gesagt wurde. Das Evangelium ist sehr nüchtern und schweigsam über diese Jahre und wir dürfen durchaus auch annehmen, dass es Jahre wirklicher Verborgenheit waren, in denen Maria und Josef nicht ständig Visionen und be- sondere Erlebnisse hatten, sondern im Glauben gegangen sind. Im Glauben, dass sie im Herzen tragen, was ihnen durch den Engel gesagt worden war. Und in diesem Alltag ahnen sie das Geheimnis des Betens Jesu.

Als dann Jesus in die Öffentlichkeit tritt, mit 30 Jahren, sehen wir, wie das Gebet sein ganzes öffentliches Wirken begleitet, ja, wie es sozusagen der Grundton seines öffentlichen Wirkens ist. Besonders der hl. Lukas hat das unterstrichen, Lukas ist der Evangelist des Gebetes Jesu. Die Überlieferung sagt, dass er der Mutter Gottes besonders nahe gestanden ist, vielleicht hat er von ihr - über die er so wunderbar in den beiden ersten Kapiteln geschrieben hat - das erfahren. Er sagt ja in seinem Vorwort des Evangeliums, er sei allen Dingen ganz sorgfältig nachgegangen, er hat also die Zeugen befragt, er, der selber kein Augenzeuge des Lebens Jesu war. Und Lukas ist wie kein an- derer Evangelist aufmerksam auf das Beten Jesu. Das verborgene Gebet in den 30 Jahren des zurückgezogenen Lebens und dann im öffentlichen Leben von der Taufe an. Lukas sagt als einziger, dass sich bei der Taufe Jesu der Himmel geöffnet hat, die Stimme des Vaters zu hören war als Jesus betete. Während Jesus betet, geschieht das. Er zeigt uns dadurch, wo Jesus wohnt, wo sein Ort ist: Im Gebet, wenn er ganz beim Vater ist. Und eben- so ist Lukas der einzige, der bei der Verklärung auf dem hohen Berg vor den drei Zeugen sagt, dass die Verklärung geschah, während Jesus betete. Während er betet, erscheinen ihm Moses und Elia. Und wiederum ist es Lukas, der in besonderer Weise Jesu Gebet am Ölberg, in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, betont. Er ist der einzige, der auch den Engel des Trostes festgehalten und berichtet hat: Jesus in dieser Stunde des Gebetes der völligen Hingabe an den Willen des Vaters. "Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine."

Aber Lukas berichtet auch über das Gebet Jesu in den entscheidenden Momenten seines Apostolats, seiner Sendung. Er sagt z. B., was kein anderer Evangelist berichtet: Dass Jesus, bevor er die Zwölf auserwählt hat, die Zwölf, die dann die Apostel wurden, die ganze Nacht gebetet hat. Ich wollte einmal - ich darf das vielleicht als einen misslungenen Versuch im eigenen Leben erzählen - eine ganze Nacht auf einem Berg bleiben im Gebet. Ich habe mir gedacht, das steht so oft im Evangelium, das muss ich doch auch einmal probieren. Und ich gestehe - es war eine wunderschöne Sommernacht - dass ich furchtbare Angst hatte, weil die Geräusche in der Nacht sehr un- heimlich sind, wenn man plötzlich so ganz alleine auf einem Berg ist. Und ich gestehe, dass ich dann so gegen 2 Uhr morgens, nicht sehr heldenhaft nach Hause gegangen bin. Ich hatte dann um 6 Uhr früh heilige Messe im Altersheim, und wie ich das Evangelium aufschlage, war es das Evangelium "und Jesus verbrachte die ganze Nacht im Gebet." Das hat mich sehr getröstet, dass ER die ganze Nacht im Gebet verbracht hat, wenn ich es schon nicht geschafft habe. Lukas ist auch der einzige, der berichtet, dass Jesus vor dem Messias-Bekenntnis des hl. Petrus gebetet hat, als Jesus die Jünger fragte: "Für wen halten mich die Menschen und für wen haltet ihr mich?" "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes". Immer wieder an den entscheidenden Momenten ist Jesus im Gebet. Das heißt natürlich nicht, dass Jesus nur in diesen Momenten gebetet hat. Aber der hl. Lukas will uns offensichtlich zeigen, dass Jesus alles, was er tut, aus dem Gebet heraus tut, das heißt, aus der lebendigen Verbindung mit dem Vater.

Johannes in seinem Evangelium lässt uns dann noch tiefer hineinschauen in dieses Geheimnis, dass Jesus tatsächlich mit dem Vater eins ist und dass er dann sagen kann: Ich tue nichts von mir aus. Ich tue das, was ich beim Vater sehe! Das heißt also, Jesu Ort, Jesu Zuhause ist das Gebet, da ist er beim Vater. Und alles was er tut, seine ganze Sendung, sein ganzer Auftrag, kommt aus dieser Vertrautheit mit dem Vater: Dein Wille, Vater, geschehe! Das hat, wie nichts anderes, die Jünger angezogen. Wir haben darüber schon in den früheren Katechesen, vor allem in der ersten, über die Sehnsucht nach dem Gebet gesprochen. Die Sehnsucht zu beten wird aufgeweckt, wird geradezu zu einer brennenden Sehnsucht, wenn wir Menschen sehen, die beten, die wirklich im Gebet sind.

Dieser Tage kam mir wieder dieses unvergessliche Bild in den Sinn: Wie der Heilige Vater in Salzburg in den Dom hereingekommen ist, wie er lange, lange durch den Mittelgang herein gegangen ist, viele begrüßend, und wie er dann beim Betschemel vor dem Allerheiligsten sich niedergekniet hat und dort völlig im Gebet versunken war. Ganz unbekümmert darum, dass die Fernsehkameras laufen und dass das alles live übertragen wird und dass die Menschen warten. Er war wirklich im Gebet zu Hause. Man spürt, wenn man einen Menschen so in das Gebet eingetaucht erlebt: Das ist eigentlich der Ort, wo wir zu Hause sein - nicht nur "sollten" - sondern sein "dürfen"! Da kommen wir wirklich nach Hause! So war es wohl auch mit den Jüngern. Lukas sagt einmal: "Jesus betete einmal an einem Ort" und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: "Herr, lehre uns beten!". Wie lehrt Jesus uns beten?

Schauen wir ein wenig hinein in diese Gebetsschule Jesu, bevor wir dann noch einmal zurückkommen auf das Beten Jesu selber. Wie lehrt er uns beten? Schon einmal und vor allem und zuerst dadurch, dass er selber betet. Indem wir ihn sehen und betrachten, auch durch das Evangelium, indem uns Jesus vor Augen gestellt wird, haben wir bereits eine Gebetsschule. Aber Jesus hat auch ausdrücklich darüber gesprochen. Es gäbe jetzt viele Stellen, die zu nennen wären, wo Jesus über das Gebet spricht und uns gewissermaßen bei der Hand nimmt und sagt, wie wir beten sollen. Vor allem in der Bergpredigt, in diesem Herzstück seiner Verkündigung, spielt das Gebet eine ganz zentrale Rolle. Wir müssen natürlich ausführlich auf das "Vater unser" eingehen, in dem alles zusammen- gefasst ist, was Jesus uns zu beten lehrt, aber zuerst gibt er uns ein paar vorbereitende Hinweise. Er zeigt uns Wege zum Gebet: Ein erster Weg ist, wir können nicht beten, wenn wir unversöhnt sind. Wenn Du dich am Weg zum Altar mit einer Opfergabe daran erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass die Gabe liegen, geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder! Wir wissen es aus der Erfahrung: Das Gebet geht nicht, wenn wir unversöhnt sind! Jesus geht noch viel weiter: Ohne die Liebe zu den Feinden ist unser Gebet nicht wirklich flügelstark, es lahmt. Betet für eure Feinde! Segnet die, die euch verfolgen! Dann werdet ihr Söhne, Kinder eures Vaters sein. Diese Voraussetzung, diese Vorbereitung kann er uns nicht ersparen. Ein unversöhntes Herz kann nicht offen sein für den Willen des Vaters. Daher die Dringlichkeit der Umkehr, es ist das erste Wort des Evangeliums und es bleibt der erste Auftrag des Evangeliums. Kehrt um, be- kehrt euch!

Ohne dieses ständige Umkehren des Herzens wird das Gebet nicht aufsteigen können, es ist, als würde es am Boden kleben bleiben. Das Zweite, was Jesus uns sagt: Plappert nicht wie die Heiden, macht nicht viele Worte, öffnet euer Herz und Gott weiß was ihr braucht! Also Gebet nicht in der Schaustellung, nicht als Schauspiel, als Theater, sondern Gebet im Verborgenen. Und da noch einmal die Verborgenheit, selbst vor dem eigenen Ich, dass ich nicht mich bewundere, wie ich jetzt bete, wie fromm ich bin und wie eifrig ich bin, sondern wirklich, dass ich ganz ins Verborgene zu gehen suche, wo nur Gott, der Vater, mich sieht: Versöhnung, Verborgenheit. Und das Dritte: immer wieder und immer wieder die kindliche Haltung.

Ich habe einmal eine Ordensschwester bei ihrer Profess gefragt - vielleicht habe ich es schon erzählt - was in ihrer Kinderzeit der stärkste Eindruck war, der sie auf ihrem geistlichen Weg oder in ihrem religiösen Leben gefördert hat? Und da hat sie mir gesagt, sie ist einmal ohne Anklopfen am Abend in das Schlafzimmer der Eltern hineingestürmt, und da waren die Eltern kniend vor dem Bett im Gebet. Dass ein Kind die Eltern so beten sieht, wie Kinder, die niederknien vor dem himmlischen Vater. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder... Im Gebet wie ein Kind zu sein, das ist die notwendige Bedingung, dass unser Gebet wirklich aufsteigt. Ein Viertes, was Jesus uns sagt: Die Voraussetzung für das Gebet ist die Haltung des Glaubens. Glauben, nicht so sehr die Gefühle, so schön sie sind, wenn sie geschenkt werden, nicht so sehr das, was ich im Gebet erlebe, sondern der Glaube. Im Glauben, das heißt im Zustimmen zu dem, was ich im Glauben weiß und annehme: "Du bist da, ich bin dein", in dieser Haltung zu beten. Nur so, in Versöhnung und Umkehr, im Verborgenen, in der Kindlichkeit und im Glauben finden wir den Weg des Gebetes. Jesus hat uns in Gleichnissen gesagt, wie diese Haltungen aussehen und die Gleichnisse sind so anschauliche Bilder dafür, wie das Gebet aussehen soll.

Ich nenne vor allem drei Gleichnisse, wieder beim hl. Lukas, dem Evangelisten des Gebetes: Da ist der aufdringliche Freund, der in der Nacht kommt und unbedingt einen Laib Brot haben will. Der Freund sagt: Ich bin schon im Bett, meine Kinder sind bei mir, ich kann dir das Brot nicht geben. Aber weil der Freund so lästig ist, gibt er ihm das Brot. Beten also in der Aufdringlichkeit, in der Zudringlichkeit, oder wie wir auch sagen können, in der kindlichen Kühnheit. Das zweite Gleichnis, wieder ein Gleichnis der Aufdringlichkeit, ist das von der zudringlichen Witwe und dem bösen Richter, der immer wieder bedrängt wird von der Witwe: Gib mir recht, schaff mir Recht! Der Richter ist ein böser Richter, aber er bekommt Angst, denn, so sagt er sich, sie könnte mir - wir würden auf Wienerisch sagen, eine Watschn’ geben - sie könnte mich ins Gesicht schlagen, heißt es im Evangelium. Und deshalb gibt er ihr recht, spricht er ihr Recht, wie sie es fordert. Also die Aufforderung Jesu durch dieses Gleichnis, geduldig zu sein, beharrlich im Gebet. Und das dritte Gleichnis ist das vom Zöllner und vom Pharisäer: Der Zöllner, der sich nicht traut die Augen zu heben, ganz hinten steht: "Gott sei mir Sünder gnädig". In dieser Haltung, die wir in Jesu Gebet übernommen haben: Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, hab Erbarmen mit mir Sünder, in diesem "Kyrie eleison" des Gebetes, sieht Jesus die richtige Haltung des Gebetes. Es gäbe noch viel anderes zu sagen über das, was Jesus uns über das Gebet lehrt. Das Evangelium ist voll von Weisungen über das Gebet, ich denke etwa an die vielen Worte über die Wachsamkeit. Wachet und betet! Aber alles ist zusammengefasst in der Haltung des Kindes, dem Vater gegenüber, des kindlichen Vertrauens, des unbedingten Zutrauens, wenn Jesus uns sagt: "Wenn ihr schon, die ihr böse seid, euren Kindern Gutes gebt, um wie viel mehr wird euer himmlischer Vater euch den Heiligen Geist geben, wenn ihr darum bittet!"

Nun kommen wir noch einmal zurück, wie das Gebet Jesu aussieht: Jesus lehrt seine Jünger beten durch Worte und durch sein Beispiel, er lehrt sie auch durch eigene Gebete. Die Evangelien überliefern uns einige Gebete Jesu, und in diesen kommt sozusagen sein Herz ganz offen zum Aus- druck. Ich nenne wenigstens zwei, wir müssten eigentlich drei nennen. Das erste ist dieser Jubelruf Jesu, der uns überliefert ist bei Matthäus und bei Lukas: "Vater, Herr des Himmels und der Erde, ich preise Dich, dass Du das den Klugen und Weisen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so war es Dir wohlgefällig!" Jesus jubelt im Heiligen Geist, sagt Lukas, und dieser Jubel dringt nach außen und für einen Moment dürfen die Jünger etwas von dem Gebet Jesu auch hören und nicht nur sehen. Es ist vor allem die Freude Jesu über die Kleinen, es ist in Jesu Beten gelegentlich ein Jubel, der uns etwas ahnen lässt von der Herrlichkeit des Himmels, von der Freude des Himmels. Wenn er etwa der heidnischen Frau, die ihn so eindringlich bittet, der syrophönizischen Frau, die für ihre kranke Tochter bittet, sagt: "Frau, dein Glaube ist groß". Da ist ein Jubel drin, ein Jubel, so wie wir ihn in diesem Gebet Jesu hören, in diesem Gebet: "Vater ich preise dich, dass du das den Klugen und Weisen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast!" Ein zweites Gebet sei genannt, weil es etwas auch von Jesu Gebetslehre wiedergibt, aber wir sehen es, sozusagen wie es bei ihm selber geht, wie er selber betet. Vor der Auferweckung des Lazerus sagt Jesus: "Vater, ich danke Dir, dass Du mich erhört hast". Lazarus ist noch nicht auferweckt, aber Jesus betet vor allen Leuten laut dieses Gebet: "Vater, ich danke Dir, dass Du mich erhört hast" und er sagt hinzu: "Ich wusste, dass Du mich immer erhörst." Jesus betet also, als wäre es bereits Wirklichkeit. Im Gebet nimmt er vorweg, was er erbittet: Das ist schon erhört! Und er sagt uns selber dann später, wenn er uns beten lehrt, dass wir so beten sollen, als hätten wir es bereits empfangen. "Alles, worum ihr betet und bittet, glaubt nur, dass ihr es schon erhalten habt."

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn ich dieses Wort im Evangelium höre, muss ich sagen: "Ich glaube Herr, hilf meinem Unglauben!" Denn sehr oft glaube ich nicht sofort, dass das, worum ich bitte, ich auch schon erhalten habe. Und doch sagt Jesus: "Glaubt, dass ihr es schon erhalten habt, alles worum ihr betet und bittet!" Unser Gebet wird sicher erhört. Es wird nicht immer so erhört, wie wir bitten, aber es wird sicher erhört. "Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst." Jesus kann das sagen, weil sein Herz ganz mit dem Willen des Vaters sozusagen akkordiert ist, ganz mit dem Vater eins ist. Und in dem Maß, wie unser Gebet hineinwächst in den Willen des Vaters, wird dieses Wort auch Wirklichkeit: Ich wusste, dass du mich immer erhörst. Und deshalb beten wir im Auftrag Jesu: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden." Ich komme fast zum Schluss: Ein großes Thema des Gebetes Jesu sind seine Gebete am Kreuz. Immer wieder betrachtet durch die Jahrhunderte, die "Sieben Worte Jesu am Kreuz". Gebete, die der Herr in der letzten Stunde spricht.

Man hat von vielen Menschen, von vielen Heiligen, die letzten Worte aufgeschrieben. Vielleicht ist Ihnen das auch geschehen, ich habe es bei meinem Vater getan. Die letzten Worte, die er gesprochen hat, haben wir mitgeschrieben. Weil man zurecht den letzten Worten eine ganz besondere Bedeutung zumisst. Jesu letzte Worte haben deshalb für unser Beten eine so prägende Bedeutung. Ich nenne nur kurz diese sieben Worte, jedes ist eigens zu betrachten: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun." "Amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." Auf dieses Wort komme ich gleich noch einmal zurück. "Frau, siehe dein Sohn, siehe deine Mutter." "Mich dürstet!" "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" " Es ist vollbracht." " Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist." Aber das allerletzte Gebet Jesu ist nicht mehr ein formuliertes Gebet, sondern - wie der hl. Markus sagt - ein lauter Schrei. Und in diesem lauten Schrei, mit dem Jesus verstirbt, ist - so dürfen wir sagen - wie in einem Laut das ganze Notgebet der Menschheit zusammengefasst. Alle unsere Nöte, alle Hilfeschreie der Menschheit, alle Fürbitte der ganzen Menschheitsgeschichte ist in diesem lauten Schrei des Mensch gewordenen Gottessohnes zusammengefasst.

Und da bin ich beim letzten Punkt: Wie betet Jesus für uns und wie bitten wir ihn als den, den wir bitten und den wir anbeten dürfen? Wenn wir Jesu Gebet betrachten, dann sehen wir vor allem eines: In diesem Ge- bet ist alles Beten der Menschheit zusammengefasst. Er ist Mensch geworden, um für alle Menschen zu beten, für alle Menschen Mensch zu sein und in seinem Gebet ist alles, was wir je beten werden, bereits zusammengefasst. Das gilt von seinem irdischen Gebet und das gilt besonders von seinem Gebet, das er jetzt für uns bei seinem Vater spricht. Der Hebräer-Brief hat das besonders betrachtet: Jesus tritt für uns ein beim Vater. Er ist jetzt der große Fürbitter für jeden von uns beim Vater. Und alles, was wir beten, zu beten versuchen, und alles was Menschen, auch ohne ihn zu kennen, stammeln an Gebet, ist in seinem großen Fürbitten für alle Menschen zusammen gefasst, ist gewissermaßen in diesem großen Schrei, mit dem er stirbt, dem Vater übermittelt. Und deshalb ist es gut und richtig, dass wir uns im Gebet an Jesus wenden. Und auch dazu gibt es viele Beispiele schon im Evangelium: Menschen wenden sich an Jesus und bitten ihn. Das sind die Kranken, die ihn um Heilung bitten, das sind Menschen, die um seine Hilfe bitten, ich denke an den Blinden: "Hab Erbarmen mit uns, Sohn Davids! Sohn Davids - erbarme dich meiner!" Das ist vor allem das Gebet des rechten Schächers, und mit diesem möchte ich schließen. Weil es das Gebet des ersten Erlösten ist, des ersten, der mit Jesus im Paradies war: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!" Diese kurze kleine Bitte des rechten Schächers: "Gedenke meiner, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst, Jesus!" Nur dieser Name "Jesus, Jesus denk an mich." Mit diesem Gebet ist er in den Himmel gekommen. Und ich glaube, unser Gebet zu Jesus kann nur in dem bloßen Namen Jesus bestehen.

Manchmal sind wir so schwach und vielleicht auch so erschöpft, dass nichts anderes mehr geht als der Name Jesus. Und alles ist in diesem Namen an Bitte, an Gebet gesagt. Und deshalb dürfen wir im Blick auf den rechten Schächer unser Vertrauen in Jesus besonders vertiefen und bekennen. Es genügt manchmal einfach "Jesus" zu sagen. In ihm ist alles unser Beten zusammengefasst und auch vollendet. Und wer mit diesem Namen im Herzen und auf den Lippen unterwegs ist, bis in die letzte Stunde, der wird sicher den Ort finden, wo Jesus zu Hause ist, dort, wo er wohnt. Wir haben am Anfang gefragt: "Meister, wo wohnst du?" und wir können jetzt sagen, wenn wir das Wort "Jesus" sprechen: "Jesus, denk an mich." Dann nimmt er uns dorthin mit, wo er zu Hause ist.
Gelobt sei Jesus Christus!

 

 



 

 

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