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Meister wo wohnst Du - Katechese II

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1997
1
. Jahresreihe - 4. Katechese, 15.06.97

"Meister, wo wohnst Du?"
"Kommt und seht! "

 

"Meister, wo wohnst Du?" - "Kommt und seht!"

In den letzten Tagen entdeckte ich eine neue Facette, einen neuen Aspekt an der Bibelstelle, die wir als Vorbereitung auf den Weltjugendtag betrachten:

"Meister, wo wohnst Du?"
"Kommt und seht! "

Was fanden sie, als sie zu Ihm kamen? Wen fanden sie da? Einen Mann, der allein lebte. Hatte er keine Kinder, keine Frau, keine Familie? Seltsam! Ein 30-jähriger Jude, ein Handwerker in einem kleinen Dorf, unverheiratet, ohne Familie, ohne Frau, ohne Partner. Nach heutigen Vorstellungen müsste das ein verquerer, verschrobener Mensch sein, einer, der nicht ganz normal sein kann, weil sich heute viele nicht vorstellen können, dass ein normaler Mensch ohne Partner lebt. Aber auch zur Zeit Jesu war das, aus anderen Gründen, ungewohnt. Das allererste Gebot, das in der Bibel steht (nicht das höchste, aber das erste!) lautet: "Seid fruchtbar und vermehret euch" (Gen. 1,28).

Ein 30-jähriger Mann in der Blüte seiner Jahre, der nicht verheiratet ist, keine Kinder gezeugt hat - das ist wirklich schwer begreiflich! Allerdings gab es in Qumran, nahe beim Jordan, eine religiöse Gruppierung, die "Essener", die ehelos in einer Art Kloster zusammenlebten. Vielleicht stand ihnen Johannes der Täufer nahe; er war, wie sie, ehelos geblieben.

Wen fanden also die zwei Jünger des Johannes? Einen verklemmten Menschen, dem nur das Alleinsein übrig blieb, weil er zu einer Partnerschaft unfähig war, aus physischen Gründen (ein "Eunuch" also - auf das Wort komme ich noch zurück) oder aus psychischen (Hemmungen, Verklemmungen)? Die beiden Johannesjünger haben Jesus nicht so erlebt. Sonst hätten sie nicht am nächsten Tag von Ihm sprechen können: "Wir haben den Messias gefunden". Wen haben sie also vorgefunden? Einen strahlenden, ganz erfüllten Menschen, der hoffen ließ, dass er die Erfüllung aller Hoffnung bringen werde.

Kann jemand ein erfüllter Mensch sein, ohne seine Sexualität zu leben, ohne die Beziehung zu einem Partner, ohne die Intimität einer auch körperlichen Nähe? Viele unserer Zeitgenossen - und wohl auch der Zeitgenossen Jesu - bezweifeln das. Sie suchen mit allen Mitteln der Phantasie, Jesus zum Liebhaber der Maria Magdalena zu machen, wenn sie nicht gar die Nähe des Johannes zu Jesus ("der Jünger, den Jesus liebte") im Sinne einer gleichgeschlechtlichen Liebe deuten.

Kannte Jesus "die Versuchungen des Fleisches"? Die einhellige Überzeugung der kirchlichen Tradition ist es, daß Jesus keusch gelebt hat. Hatte er darum zu kämpfen? Der Hebräerbrief (4,15) scheint das zu sagen: Jesus sei "in allem wie wir versucht worden, aber ohne zu sündigen". Wie sah die Keuschheit Jesu aus? Wie lebte Jesus mit den vitalen Kräften der Sexualität und der Affektivität? Nach dem Glauben der Kirche ist Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch. Hat der Gott-Mensch Jesus mit dem kämpfen müssen, was jedes Menschen Los ist: seine Triebe zu ordnen, um wirklich Mensch zu sein? Oder war das für Jesus alles kein Problem, da er ja ohne Sünde, sogar ohne Neigung zur Sünde war? Eines ist sicher: Sein ehelos-keusches Leben ist für zahllose seiner Jünger zum Vorbild geworden, sie sind ihm auf diesem Weg nachgefolgt. Wie kaum ein Punkt wird gerade dieser in und an der Kirche heute in Frage gestellt. "Zölibat" ist ein Reizwort; viele, auch im "Kernbereich" der Kirche, stellen ihn in Frage, mit dem Ergebnis, dass manch einer, der den Ruf verspürt, Jesus auf diesem Weg nachzufolgen, auch von "braven Katholiken" entmutigt wird, ja fast abgehalten wird, Jesus in der Ehelosigkeit nachzu- folgen. Schwebt also über dem Christentum ein "Generalverdacht" gegen die Sexualität? Wenn der Gründer ehelose Keuschheit als seinen Weg gewählt hat, ist dann nicht unweigerlich unter seinen Anhängern die Vorstellung nahe liegend, dass die Ehe ein minderer Weg ist, den die Unvollkommeneren gehen, während die "Vollchristen" wie ihr Meister zu leben suchen? Der Verdacht, "Jesu Religion", das Christentum, sei "leibfeindlich", ist dann die Folge! Die Kurzformel für diese Wahrnehmung des Christentums hörte ich einmal von einem Jugendlichen in einer Erziehungsanstalt: "Religion ist das, was verboten ist."

"Meister, wo wohnst du?"
Wie wohnst du in deinem Leib, mit deinen Gefühlen, mit den Bedürfnissen dieses Leibes, dem Hunger nach Nahrung, aber auch nach menschlicher Liebe?
"Kommt und seht! "

Wenn es schon nicht möglich ist, das Geheimnis des Menschen zu ergründen und uns selber ganz zu verstehen, um wie viel weniger können wir das Geheimnis des Gottmenschen verstehen! Aber wir können auf die Menschen schauen, die Jesus nach gefolgt sind und sie fragen, wie sie gelebt haben, wie sie leben. Und wir können in den Spiegel des Evangeliums schauen, in dem Jesus deutlich sichtbar wird: Das Evangelium und die christliche Erfahrung gemeinsam zeigen uns den Weg. Schauen wir uns einmal die betreffende Evangelienstelle (Mt 19, 11-12) an, und mit Absicht folge ich hier so nah wie möglich dem griechischen Text, nicht der geglätteten Einheitsübersetzung:

"Er aber sagte zu ihnen: Nicht alle fassen dieses Wort, sondern nur die, welchen es gegeben ist. Es gibt nämlich Eunuchen, welche so aus dem Leib der Mutter geboren wurden, und es gibt Eunuchen, welche zu Eunuchen gemacht worden sind von den Menschen, und es gibt Eunuchen, welche sich selber zu Eunuchen gemacht haben wegen des Himmelreiches. Der es fassen kann, fasse es!"
"Eunuch" war zur Zeit Jesu schon ebenso ein Spott-, ja Schimpfwort wie heute. Es bezeichnete einen eigentlich zu Verachtenden. War es vielleicht auch ein Spottwort, das Jesus selbst zu hören bekam? "Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen" : Das bedeutet also ein Opfer von etwas Gutem und Kostbarem, um des Himmelreiches, d. h., um Jesu willen: Wenn wir uns alle Evangelien- stellen ansehen, in denen vom "Himmelreich" die Rede ist, dann können wir das zumeist mit "Jesus" ersetzen. Auf die Frage: "Warum der Zölibat?" gibt es also nur eine Antwort, einen Grund:

Weil um Jesu willen alle Güter hintangestellt werden können:
- "Wer Vater und Mutter mehr ehrt als mich, ist meiner nicht wert"
- "Wenn du vollkommen sein willst, dann verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach" (nicht nur 20 % , 30 % - sondern alles)

Sogar das Leben kann um Jesu willen hintangestellt werden. Wenn es also sinnvoll ist, für Jesus sein Leben zu geben, dann kann es auch sinnvoll sein, für ihn auf die Ehe und die Verwirklichung der eigenen Sexualität zu verzichten!
Ist dieses Opfer - und es ist ein Opfer - aber nicht unmenschlich? Wird man dadurch nicht zum "Eunuchen", zum seelischen Krüppel? "Nein", sagt die christliche Erfahrung. Es gibt hier so viele positive Beispiele, so viele erfüllte, geglückte Menschenleben. Wir müssen also tiefer fragen: Warum "gelingt" der Zölibat, warum kann er gelingen? Weil das tiefste Wesen der menschlichen Leiblichkeit Hingabe ist. Der Leib ist dazu geschaffen, dass ich mich schenken kann: in Zuwendung, in Zärtlichkeit, in Arbeit, in der Verausgabung meiner Kräfte für eine Familie, in der sexuellen Hingabe. (Der Philosoph, der hier wohl das Tiefste gedacht und geschrieben hat, ist Johannes Paul II. Lesen Sie seine Studie "Als Mann und Frau schuf er sie"!)

Dazu ist unser Leib erschaffen: Anders als beim Tier ist alles beim Menschen auf Begegnung und Hingabe ausgerichtet: der aufrechte Gang, das Gesicht, die Augen, der Mund, die Hände, die Geschlechtsorgane! Deshalb gibt es auch eine wirkliche ganz- menschliche Erfüllung in der Hingabe an Christus, an Gott: "Einen Leib hast du mir geschaffen, siehe, ich komme, deinen Willen zu tun". Warum soll nicht gerade der Leib der Ort der Hingabe an Gott sein? Die Antwort ist das Geheimnis der Eucharistie: "Das ist mein Leib, hingegeben für euch." "Meister, wo wohnst du?" In einem Leib, der zur Hingabe geschaffen ist. Die Leiblichkeit Jesu tritt uns im Evangelium immer wieder entgegen: In Berührungen (bei Heilungen, wenn er Kinder in die Arme schließt, wenn er seinen Jüngern die Füße wäscht, wenn ihn die Sünderin salbt, ihn mit Tränen benetzt und seine Füße mit ihren Haaren abtrocknet und küsst, wenn Johannes an seiner Brust ruht), in seinem Hungern und Dürsten, in seiner Müdigkeit...

Seine Hochschätzung des Leiblichen, insbesondere der Ehe, zeigt sich bei seinem ersten Wunder bei der Hochzeit von Kana, in der Betonung der Unauflöslichkeit der Ehe, im Ernstnehmen und Verurteilen des "begehrlichen Blickes" . . .
"Meister, wo wohnst du?" "Kommt und seht!"

Unser Weg zu Ihm wird ein Weg der Heilung sein, denn wir alle sind Verletzende und Verletzte, unsere Spur ist eine Wundspur. Jesus ist der wahre Therapeut, der uns durch die Berührung mit Seinem Leib, der Eucharistie, heilt und uns im Sakrament der Buße Vergebung und die Erkenntnis der Wahrheit schenkt.

 

 



 

 

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