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Meister wo wohnst du - Katechese

Kardinal Dr. Christoph Schönborn - Katechesen
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Ich, Kardinal Dr. Christoph Schönborn, begrüße sie und möchte sie einladen, meine Katechesen zu lesen.

Katechesen 1997
1
. Jahresreihe - 3. Katechese, 11.05.97

Meister, wo wohnst du?
Kommt und seht!

 

Meister, wo wohnst du? - Kommt und seht!

Herzlich willkommen zur 3. Katechese auf unserem Weg zum Weltjugendtreffen, das unter dem Motto steht: "Meister, wo wohnst du? - Kommt und seht!"

Das ist also die Leitfrage von Etappe zu Etappe in dieser Vorbereitung auf Paris. Jeder von uns hat sich auf den Weg gemacht, hat das eine oder andere Wegstück schon hinter sich, ist hinter Jesus hergegangen wie die ersten Jünger und jeder sucht, auf seinem Weg und auf seine Weise Jesus kennen zu lernen. "Wo wohnst du?" Und jeder von uns wird von ihm eingeladen, mitzukommen: "Kommt und seht!" Wohin führt uns Jesus, wohin führt der Weg?
Wir haben uns alle eingelassen auf diesen Weg, und so, wie die Jünger nicht wussten, wo er hinführt, so wissen wir auch nicht, wo er noch hinführen wird. Aber die Geschichte, die begonnen hat, lässt uns nicht mehr los, wir sind sozusagen mittendrin im Abenteuer. In der ersten Katechese habe ich versucht, einfach auf dieses Evangelium zu hören, die Berufung der ersten Jünger, wie Johannes sie berichtet. In der zweiten Katechese haben wir das letzte Mal auf die Frage "Meister, wo wohnst du?" die Kirche betrachtet - die Kirche als Haus Gottes und Haus der Menschen. Und heute möchte ich einen Schritt weiter gehen: Heute führt uns der Weg der Nachfolge an einen Ort, wo wir eigentlich nicht hingehen wollen. Das ist eine Erfahrung, die die Jünger gemacht haben - Jesus hat es ausdrücklich einmal zu Petrus gesagt, er werde einmal dorthin geführt werden, wo er nicht will. "Meister, wo wohnst du?" Jesus wohnt an Orten, wo wir nicht gerne hingehen und wo wir nicht gerne hinschauen. Der Papst sagt uns in seiner Botschaft zum Weltjugendtag, "Ihr werdet Jesus dort begegnen, wo die Menschen leiden und hoffen." Und er sagt weiter: "In den kleinen, über die Kontinente verstreuten Dörfern, die anscheinend am Rand der Geschichte liegen wie damals Nazareth, als Gott seinen Engel zu Maria sandte. In den riesigen Weltstädten, wo Millionen Menschen oft wie Fremde nebeneinander leben. Jeder Mensch ist in Wirklichkeit Mitbürger Christi. Jesus wohnt neben Euch in den Brüdern und Schwestern, mit denen Ihr das tägliche Leben teilt. Sein Ge- sicht ist in den Ärmsten, den Ausgegrenzten, die nicht selten Opfer einer ungerechten Entwicklungsideologie sind, die den Gewinn an die erste Stelle setzt und den Menschen zum Mittel statt zum Ziel macht." Und er sagt weiter: "Das Haus Jesu ist dort, wo ein Mensch auf Grund der ihm verweigerten Rechte, der verratenen Hoffnung oder seiner nicht beachteten Ängste leidet. Dort, unter den Menschen ist das Haus Christi, der Euch bittet, in Seinem Namen jede Träne zu trocknen, auch die, die sich einsam fühlen, daran zu erinnern, da niemand je alleine ist, der seine Hoffnung auf Ihn setzt." An diesen Ort gehen wir Jesus nicht gerne nach. Es zieht uns in eine andere Richtung. Die Armen aller Art, die psychisch Belasteten, mühsame Menschen, verletzte und komplizierte - es drängt uns nicht zu ihnen hin. Die physisch Armen, Kranken, die Elenden, die Heruntergekommenen, die "Giftler", die Süchtigen, die ganze Welt des Elends - sie hat nichts Anziehendes. Niemand wird sie in der Werbung zeigen. Schaut Euch die Werbeplakate an, dort werdet Ihr von dieser Welt nichts sehen. Dort ist man schön, gesund, stark, erfolgreich, anziehend und aufreizend. Spontan gehen wir nicht dorthin, wo Jesus ist: in der Welt der Armen. Wie schnell sind Freunde weg, wenn man längere Zeit arbeitslos ist. Spontan drängt es uns hin zum Leben, nicht zum Scheitern. Ihr Jugendlichen, aber nicht nur Ihr, auch bei uns Älteren ist es nicht anders. Ihr wollt leben, etwas vom Leben haben, Spaß und Unterhaltung, Lebensfreude - nicht die trostlose Welt der Armut, der Armut in allen Formen. Das zieht nicht an. Ein solcher lebenshungriger, lebensfreudiger junger Mensch war ein Freund von mir, Diplomatensohn, der eines Tages ein einschneidendes Erlebnis hatte, das sein Leben verändert hat. Er fuhr in New York mit dem Taxi zu einer Party, weit hinaus, eine Stunde lang dauerte die Fahrt. Der Taxifahrer war ein Schwarzer, und er begann auf dieser langen Fahrt, meinem Freund sein Leben zu erzählen. Dieser hörte zerstreut die tragische Lebensgeschichte dieses Schwarzen an, und als am Ende der Fahrt der Schwarze sich verabschiedet hat, hat er zu weinen begonnen und diesem 19jährigen jungen, lebensfröhlichen Studenten gesagt: "Ich fahre jetzt seit 20 Jahren Taxi, und in diesen 20 Jahren hat kein Mensch meine Geschichte bis zum Schluss angehört. Sie sind der Erste gewesen." Dieses Erlebnis hat meinen Freund so erschüttert, dass ihm damals zuerst der Gedanke kam, Priester zu werden, und er ist es dann auch geworden.
Es gibt im Leben jedes Menschen einen Moment, oder Momente, wenn wir bewusst Christus nachfolgen wollen, Momente dieser Art, wo eine andere Dimension in unser Leben hereinbricht. Bekannt ist die Geschichte von dem jungen Francesco Bernardone, dem lebenslustigen Sohn des reichen Tuchhändlers Bernardone aus Assisi. Wie er hoch zu Ross zuerst hörte, und dann sah: einen Leprakranken, schrecklich entstellt von dieser Krankheit, die Ge- sicht und den ganzen Körper zerfrisst. Ein Bild des Ekels und des Grauens. Francesco spürt einen heftigen Widerwillen und gleich- zeitig einen ganz starken Impuls, herunterzusteigen vom Pferd und auf diesen Leprakranken zuzugehen, und er tut es. Etwas zieht ihn unwiderstehlich an diesem Leprakranken an. Er geht auf ihn zu und küsst ihn. Und als er wieder auf dem Pferd sitzt und sich um- wendet, sieht er weit und breit keinen Leprakranken mehr. Und die unbeschreibliche Freude, die Franziskus in diesem Moment erfüllt, und dieses Erlebnis macht ihm bewusst, lässt ihn ahnen, dass er in diesem Leprakranken Christus geküsst hat. "Meister, wo wohnst du? Kommt und seht!"
Was ist das Geheimnis dieser Freude? Einer Freude, die offen- sichtlich intensiver ist als aller Lebenshunger, als alle Glücksgefühle, die man in der Sucht nach dem Leben gewinnen kann. Eine unvergleichliche Lebensfreude. Wer diese Freude auch nur ein wenig verkostet hat, den lässt sie nicht mehr los, und es schmerzt ihn jedes mal, wenn er dieser Freude aus dem weg gegangen ist, vor ihr geflüchtet ist, denn er weiß aus Erfahrung, dass nichts so gut schmeckt, so lebendig wie diese Lebensfreude, diese Erfahrung eines Francesco oder jenes Freundes auf seiner Taxifahrt in New York. Wenn man diese tiefe Freude kennen lernen will - und Jesus will, dass wir seine Freude kennen lernen - dann muss man zu Jesus gehen, mit ihm gehen, und sich zeigen lassen, wo man diese Freude findet.
Ich möchte mit Euch heute Abend eine Szene im Evangelium be- trachten, in der Jesus seine Jünger zu dieser Freude hinführt. Es gibt viele solche Szenen, aber diese ist mir besonders einprägsam. Sie spielt sich in Jerusalem ab, im Tempel, in den letzten Tagen vor dem Leiden Jesu, ganz am Schluss, als alles schon sehr ernst war. Jesus setzt sich im Tempel nieder, und er schaut den Menschen zu, die in den Tempel aus- und eingehen, er setzt sich gegenüber dem großen Geldkasten hin, der am Eingang des Tempels ist, dem Opferkasten, wo die Menschen, die zahlreichen Pilger ihre Gaben hineinwerfen, sozusagen hinten bei den Kerzen würde er sich hinsetzen und beobachten, die Menschen, die her- einkommen. Jesus sieht den Menschen zu, die da in den Tempel strömen. Und das Evangelium sagt, nicht wenige von ihnen waren reich und haben ordentliche Portionen in den Opferkasten hin- eingeworfen, nicht ein paar Münzen, sondern Scheine, "Blaue", würden wir in Österreich sagen. Pater Wehrenfried van Straaten ist ein Weltmeister im Sammeln von Geld, er geht nach einer Predigt mit seinem Hut herum und er sagt dann immer: "Bitte keine Münzen hineinwerfen, der Hut hat nämlich Löcher!" Ja, und da sieht Jesus eine arme Frau kommen, eine Witwe. Sie ist erkenn- bar an ihrem schwarzen Gewand oder an ihrem Trauergewand, so wie früher bei uns die Witwen erkennbar waren. Und diese arme Frau wirft zwei kleine Kupfermünzen in den Tempelschatz. Jesus sieht sie, und schon das ist das Neue am Evangelium: Er nimmt sie wahr. Wo sind die Jünger in dieser Szene? Wie so oft, sind sie abwesend, irgendwo, nur nicht dort, wo Jesus ist. Vielleicht haben sie wieder einmal darüber diskutiert, wer von ihnen der Größte sei, ein Lieblingssport der Apostel, bis heute. (Ich hab damit die Bischöfe gemeint, natürlich niemand anderen hier.) Sie haben nichts davon gemerkt, was Jesus gesehen hat. Vielleicht haben sie die Reichen gesehen, die arme Witwe haben sich nicht gesehen. Wie viel übersehen wir selber? Wen alle bemerke ich nicht? Etwas vom Ernstesten im Evangelium ist nicht das Böse, das wir tun, sondern das Gute, das wir übersehen. Lazarus vor der Tür des Reichen wird vom Reichen nicht einmal mehr wahrgenommen. Er übersieht ihn einfach. Er hat sich daran gewöhnt. Wie viel sehen wir nicht mehr? Oder noch gar nicht? Es ist interessant, Bedienstete aller Art zu fragen, wie sie die Menschen wahr- nehmen: Putzfrauen, Schaffner, Menschen, die Dienste, niedrige Dienste tun. Ich habe in meiner Professorenzeit in der Schweiz einen Straßenkehrer zum Freund gewonnen, ich gestehe, ich habe ihn nicht deshalb kennen gelernt, weil ich auf Straßenkehrer aufmerksam war, sondern weil ich ihn einmal in einer Pfarre kennen gelernt habe mit seiner Familie, und dann wieder gefunden als Straßenkehrer, und so entstand eine Freundschaft. Aber wie viele Menschen in niedrigsten Diensten sehen wir überhaupt und was können solche Menschen sehen über unser Verhalten? Wir haben keine Augen dafür. Wie viele Kleine und Arme im Sinne Jesu übersehen wir, weil unser Herz keinen Platz dafür hat, weil es sie nicht wahrnimmt. Aber Jesus lehrt uns sehen. Wer zu ihm kommt, geht in eine Schule des Sehens. Im Evangelium heißt es - es ist die Stelle Mk 12, 41-44 - "Da rief Jesus seine Jünger zu sich. Und er sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr eingeworfen als alle, die etwas in den Opferkasten geworfen haben, denn alle haben von ihrem Überfluss eingeworfen, sie aber hat in ihrer Armut alles hineingeworfen, was sie zum Leben hatte." Betrachten wir ein wenig gemeinsam diese Szene, wie Jesus seine Jünger sehen lehrt. Jesus ruft seine Jünger zu sich. Das griechische Wort, das an dieser Stelle steht, hat die- selbe Bedeutung wie das Wort "ekklesia", das auch aus dem Griechischen kommt, und das heißt wörtlich "die Heraus gerufene". "Ekklesia" ist die aus den Vielen herausgerufene Gemeinschaft. Jesus ruft sie zusammen, und so entsteht Kirche. Kirche entsteht dort, wo Jesus Menschen herausruft, zusammen- ruft, wo er sie aus ihrem bisherigen Leben herausruft, aus ihren Gewohnheiten, aus ihren Träumen, wo er sie zu sich ruft: "Kommt und seht!" Es ist, als würde Jesus seinen Jüngern immer wieder dieses "Kommt und seht!" zurufen. "Da rief er seine Jünger zu sich." "Kommt und seht!" Kirche entsteht also dort, wo Menschen von Jesus herausgerufen werden, aus sich heraus, von sich weg, gerufen, ihre Sichtweise zu verlassen und sich den Menschen und den Dingen zuzuwenden, so wie Jesus sie sieht, gewissermaßen von Ihm sich zeigen lassen. "Kommt und seht!" Kirche entsteht also dort, wo Menschen sich von Jesus die Augen öffnen lassen, wo sie lernen, mit seinen Augen zu sehen, so zu sehen, wie er sieht. Die Kirche ist so zusagen die "Gehschule" und "Sehschule" Jesu. "Kommt und seht" - also eine Gehschule und eine Sehschule. Jesus lehrt uns gehen und sehen.
Hier können wir ein wenig Halt machen und uns fragen, uns alle fragen, ob wir die Kirche so sehen. Ist für uns die Kirche zuerst Lebensschule Jesu oder ist sie vor allem das, was wir selber organisieren und machen? Ist die Kirche für uns Gemeinschaft, in der wir Jesus als Meister und als Freund haben, der uns zusammen ruft, der uns die Augen schärft, indem er uns sehen lehrt? Ich nenne drei Schritte dieser Sehschule, oder genauer: dieser Geh- und Sehschule Jesu: Wie sieht das aus? Wie lehrt Jesus uns mit Seinen Augen sehen?
Die Jünger waren wahrscheinlich etwas verdutzt, dass er sie extra zusammenruft, um ihnen eine arme Frau zu zeigen. Kurz danach heißt es, dass ein Jünger zu Jesus sagt: "Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten!" Die Bewunderung der Jünger geht für die Technik. Das ist bis heute so, dass man die technischen Leistungen mehr bewundert als die Menschen, und der Tempel des Herodes war grandios, wenn man die Reste sieht, da gibt es wirklich etwas zu bewundern. Aber Jesus zeigt ihnen nicht irgend etwas Großartiges, er sagt sogar über den Tempel "Kein Stein wird auf dem anderen bleiben". Er zeigt ihnen diese arme Witwe und er sagt von ihr etwas ganz Großes: "Sie hat mehr gegeben als alle." Jesus lehrt sie also, mit seinen Augen zu sehen, er zeigt ihnen, was in seinen Augen groß ist. Was ist groß vor Gott? Diese arme Frau - ohne Medienspektakel, ohne "Licht ins Dunkel" hat sie ihre Spende abgegeben. Sie ist nirgendwo aufgeschienen. Es gab kein Lob und keine Anerkennung dafür. Und ganz erschütternd finde ich in dieser Szene, dass Jesus ihr auch nicht auf die Schulter klopft und sagt "Das hast du brav gemacht". Sie weiß nicht einmal, dass Jesus sie gesehen hat. Ihre Geste ist wirklich anonym, nur von Gott gesehen. Das ist wirklich groß. Zwischenfrage: Wenn wir uns die Testfrage stellen, und jeder versucht, sie zu beantworten: Wer ist wohl von den Menschen, die ich kenne, in diesem Sinne groß? Wer ist unter den Menschen, die ich kenne, groß im Himmelreich? Und wie ist mein Verhalten den Menschen gegenüber? Suche ich das, was in der Welt, in den Augen der Welt groß ist, oder habe ich ein Auge für die wahre Größe, für die, die in den Augen Jesu groß sind? Es wird wahrscheinlich eine gewaltige Überraschung sein, wenn wir einmal drüben, auf der anderen Seite des Vorhangs mit den Augen Jesu sehen, feststellen, wer wirklich im Himmelreich groß ist. "Kommt und seht!" Wohin führt uns also Jesus? In Jerusalem führt Jesus nach dieser Szene mit der armen Witwe seine Jünger auf einen Weg, den
sie nicht wollen. Er führt sie auf den Weg seines Leidens. Am Ende dieses Weges wird er gekreuzigt, zerschlagen, und zer- schunden, so wie sein Leib auf dem Turiner Grabtuch zu sehen ist. Das ist der Weg, wohin Jesus sie führt. "Kommt und seht!" "Meister, wo wohnst du?" Wo ist Jesus zu finden? Damals, als sie das erste Mal ihn getroffen haben, wo sie diese erste Nacht mit ihm verbracht haben, da haben sie nicht geahnt, wohin er sie führen wird. Wer Jesus finden will, wird früher oder später ihm am Kreuz begegnen. Es ist das im christlichen Lebensweg unumgänglich. Das Konzil sagt, dass die "enge Pforte", von der Jesus spricht, das Kreuz ist, und nur durch diese enge Pforte kann man das Leben finden. Aber es ist eigenartig und wahrscheinlich hat jeder von Ihnen in der einen oder anderen Form das schon erlebt, wie sehr einem Jesus nahe kommen kann, wenn man ihn am Kreuz sucht. Auch ganz einfach und wörtlich am Kreuz betrachtet, und es gibt Kreuzesdarstellungen, die von einer solchen Berührendheit sind, dass uns hier wirklich Jesus anspricht, ich denke hier an den Kopf des Lettnerkreuzes, der im Dombrand überlebt hat, allein der Kopf ist übrig geblieben vom Lettnerkreuz, inzwischen wieder eingefügt in den neuen Corpus, der hier nach dem Krieg gebildet wurde. Und deshalb gehören die Armen und das Kreuz zusammen. Ja, Krippe und Kreuz gehören zusammen. Wir können Gott nicht anderswo finden als dort, wo er sich finden lässt. "Meister, wo wohnst du?" Er führt uns hinunter, nicht hinauf. Er hat sich selber arm gemacht. Arm ist er geboren, arm ist er gestorben, "Ein Wurm und kein Mensch", sagt der Prophet im Blick auf die kommende Passion. Das stellt uns natürlich viele Fragen, an uns, an die Kirche, an unsere Wertvorstellungen, an unsere Vorstellung und Erwartung an die Kirche. Sind wir reiche Jünglinge, die traurig weggehen? Aber vielleicht sollten wir uns nicht entmutigen lassen, dieses "Kommt und seht" auch der Armut und des Kreuzes zu versuchen. Vielleicht bedarf es kleiner Schritte, z. B. Vereinfachung unseres Lebensstils. Leben wir vielleicht zu auf- wendig? Könnten wir nicht das eine oder andere zurückschrauben? Muss ich wirklich alles das haben, was ich habe? Kann ich meine Ansprüche überprüfen? Lädt Jesus mich nicht ein, frei zu sein, frei zu werden von vielem Unnötigen, was mein Leben voll- möbliert? Von manchem Liebgewordenen mich zu lösen, das kann eine Befreiung sein. Jesus will uns ja nicht unglücklich machen, sondern frei.
Damit bin ich beim letzten Punkt: Jesus in den Armen finden. Auch dieser Punkt muss genannt werden. In der Schule Jesu entdecken wir, dass nicht nur die Armen Jesu Freunde sind, sondern dass wir selber Arme sind. Vielleicht schauen wir deshalb so leicht weg von den Armen, weil wir selber Armut nicht sehen wollen. Wir wollen nicht gerne daran erinnert werden, dass wir ihnen im Grunde sehr ähnlich sind. Thérèse von Lisieux sagt, wir sollen unsere Armut lieben, zu ihr ja sagen und vertrauen. Sie sagt uns, dass keine noch so große Schuld, keine noch so große Sünde uns daran hindern soll, arm und vertrauend zu Jesus zu eilen. Warum ist das so wichtig, dass wir uns selber als arm erkennen? Weil nur so in unserer Herberge Platz ist für Jesus. Wenn wir nicht selber uns als arm erkennen, wenn wir von uns ganz voll sind, von unserem Können und unseren Leistungen ganz angestopft sind, dann ist kein Platz für Jesus in unserem Leben. Wenn wir erkennen, wie arm wir eigentlich vor Gott sind, dann manchen wir Platz für ihn. "Meister, wo wohnst du?" Vielleicht in meiner eigenen Ar- mut. Vielleicht gerade dort, wo ich bei mir selber nicht hinschauen will, was ich vor mir selber und vor den anderen verberge, viel- leicht gerade dort, wo in meinem Leben die Schwächen, das Ver- sagen, die Hilflosigkeit, die Ratlosigkeit ist, vielleicht wohnt gerade dort Jesus und sagt "Kommt und seht!", und sie blieben diesen Tag bei ihm. Dann werden wir sehen, dass in der schäbigen Hütte unseres eigenen Lebens Jesus Platz hat, und dass er dort gerne wohnt.

 

 



 

 

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